Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
gestützt, und blickte starr vor mich hin. Frau Dr. Russo fuhr ruhig fort. »Insgesamt sind das gute Nachrichten, Herr Cahalan. Dr. Najjar glaubt an die Möglichkeit, dass Susannah 90 Prozent ihres früheren Selbst zurückgewinnen könnte.«
»Wir können sie wieder zurückbekommen?«
»Die Wahrscheinlichkeit scheint groß zu sein.«
»Ich will nach Hause«, sagte ich.
»Genau daran arbeiten wir«, antwortete Frau Dr. Russo mit einem Lächeln.
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Im Lauf der Wochen hatte ich mich von einer berühmt-berüchtigt schwierigen Patientin in den Liebling verwandelt, ich war der »interessante Fall« für eine Menge Oberärzte, Assistenzärzte und Ärzte in der Facharztausbildung, die alle hofften, einen Blick auf das Mädchen mit der unbekannten Krankheit werfen zu können. Nachdem es nun eine Diagnose gab, die es in der New Yorker Uniklinik noch nie gegeben hatte, starrten mich junge Ärzte an, kaum älter als ich, als sei ich ein Tier im Zookäfig, äußerten gedämpft ihre Meinungen, deuteten auf mich und reckten die Köpfe, wenn erfahrenere Ärzte eine Zusammenfassung des Syndroms vortrugen. Am nächsten Morgen, als mein Vater mich gerade mit Haferflocken und zerkleinerter Banane fütterte, kam eine Gruppe von Ärzten und Medizinstudenten. Der junge Mann, der die Gruppe angehender Ärzte führte, stellte meinen Fall vor, als sei ich gar nicht im Zimmer.
»Das ist ein sehr interessanter Fall«, sagte er, während er eine Gruppe von etwa sechs weiteren Personen ins Zimmer führte. »Sie hat eine sogenannte Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis.«
Die Gruppe begaffte mich und einige ließen sogar ein stilles »Oooh« und »Ahhh« hören. Mein Vater biss die Zähne zusammen und versuchte, sie zu ignorieren.
»In etwa 50 Prozent der Fälle ist in den Eierstöcken ein Teratom vorhanden. Sollte dies der Fall sein, wird man der Patientin eventuell vorsorglich die Eierstöcke entfernen.«
Als die Zuschauer mit den Köpfen nickten, wurde ich mir dessen irgendwie bewusst und fing an zu weinen.
Mein Vater sprang von seinem Stuhl auf. Er hörte zum ersten Mal, dass meine Eierstöcke vielleicht entfernt würden, und wollte mit Sicherheit nicht, dass einer von uns es von diesem Burschen erfuhr. Als geborener Kämpfer und für sein Alter (oder auch jedes andere Alter) kräftiger Mann, schnappte mein Vater sich den mageren jungen Arzt und streckte ihm einen Finger ins Gesicht.
»Sie werden, verdammt noch mal, sofort das Zimmer verlassen!« Seine Stimme hallte im Krankenzimmer wider. »Wagen Sie sich nicht noch einmal hier herein. Raus jetzt, verdammt noch mal.«
Das Selbstvertrauen des jungen Doktors fiel in sich zusammen. Anstatt sich zu entschuldigen, bedeutete er den anderen in der Gruppe mit einer Handbewegung, ihm schnell zur Türe hinaus zu folgen, und verschwand.
»Vergiss, was du gehört hast, Susannah«, sagte mein Vater. »Die haben doch keine Ahnung, worüber sie überhaupt sprechen.«
Kapitel 32
90 Prozent
A m selben Tag kam eine Dermatologin und untersuchte mich am ganzen Körper auf Melanome, was etwa 30 Minuten dauerte, da mein Körper mit Muttermalen übersät ist. Nach gründlicher Untersuchung kam die Dermatologin jedoch glücklicherweise zu dem Schluss, dass es keinerlei Anzeichen für ein Melanom gab. An diesem Abend fuhren sie mich erneut in die radiologische Abteilung im zweiten Stock, um bei einer Ultraschalluntersuchung des Beckens nach einem Teratom zu suchen.
Ich bin aufgewacht, obwohl ich nicht geschlafen habe. Diesen Moment habe ich mir immer vorgestellt: den Moment, in dem ich das Geschlecht meines Kindes erfahren würde. Einen Moment lang denke ich: »Hoffentlich ist es ein Junge.« Aber das Gefühl vergeht. Ich wäre mit einem Mädchen genauso glücklich wie mit einem Jungen. Ich fühle das kalte Metall des Ultraschallkopfes auf meinem Bauch. Als Reaktion auf die Kälte entsteht ein Druck in der Brust, der mir die Kehle zudrückt. Es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber dann wieder gar nicht.
Verstört von dem ersten Ultraschall, verweigerte ich eine transvaginale Untersuchung, eine invasivere Untersuchung des Beckenraums. Dennoch erbrachte sogar die erste, unvollständige Untersuchung gute Nachrichten: kein Anzeichen für ein Teratom. Die schlechte Nachricht war ironischerweise, dass ein Teratom eigentlich eine gute Nachricht gewesen wäre, weil sich bei Patienten mit Teratom aus Gründen, die die Forscher bisher noch nicht verstehen, der Zustand in der Regel schneller
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