Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
dann Kontraste und schließlich Tiefe; alle diese Informationen wandern in die Datenbank, wo sie mit einem Wort versehen werden und, je nach Gegenstand, mit einer Emotion (bei einem Journalisten kann ein Schreibtisch beispielsweise Schuldgefühle wecken, weil er einen Abgabetermin verpasst hat). Zur Überprüfung dieser Fertigkeiten ließ sie mich Größe und Form verschiedener Winkel vergleichen. Ich erledigte diese Aufgaben am unteren Ende der Durchschnittswerte, gut genug für Frau Dr. Morrison, dass sie zu schwierigeren Aufgaben überging. Sie holte ein Set roter und weißer Klötze heraus und legte sie auf das ausklappbare Tablett vor mich hin. Dann zeigte sie mir ein Bild, wie die Klötze angeordnet werden sollten, und bat mich, mit laufender Stoppuhr diese Anordnung vorzunehmen.
Ich starrte auf die Abbildung und zurück zu den Klötzen, bewegte sie in einem Muster, das mit der Abbildung nichts zu tun hatte, und schaute wieder auf die Abbildung. Ich fummelte weiter mit den Klötzen herum, kam zu keinem Ergebnis, wollte aber nicht aufgeben. Morrison notierte sich: »Hartnäckig in ihren Versuchen.« Ich schien zu realisieren, dass ich es nicht richtig hinbekam, was mich zutiefst frustrierte. Es war klar, dass ich, wie auch bei allen anderen Verschlechterungen, wusste, dass ich nicht auf dem Niveau funktionierte, an das ich gewöhnt war.
Der nächste Schritt bestand darin, dass ich komplizierte geometrische Muster auf Millimeterpapier kopieren sollte, meine Fähigkeiten dabei waren jedoch so schwach, dass Frau Dr. Morrison sofort beschloss, den Versuch zu beenden. Ich war durcheinander und sie hatte die Sorge, ich würde mich noch schlechter fühlen, wenn wir weitermachten. Frau Dr. Morrison war davon überzeugt, dass ich mir trotz der kognitiven Probleme sehr wohl darüber im Klaren war, was alles ich nicht mehr konnte. In ihrem Bericht, den sie später an diesem Tag verfasste, merkte sie an, sie halte eine kognitive Therapie für »nachdrücklich zu empfehlen«.
Kapitel 31
Die große Offenbarung
S päter an diesem Nachmittag hatte mein Daddy versucht, mich für eine Partie Gin Rommé zu interessieren, als Frau Dr. Russo und ihr Team kamen.
»Herr Cahalan«, sagte sie. »Wir haben einige positive Testergebnisse.«
Er ließ die Spielkarten fallen und griff nach seinem Notizbuch. Frau Dr. Russo erklärte, dass sie eine Rückmeldung von Herrn Dr. Dalmau erhalten hätten mit einer Bestätigung der Diagnose. Die Begriffe flogen ihm um die Ohren wie Granatsplitter – peng, peng, peng : NMDA, Antikörper, Tumor, Chemotherapie . Er bemühte sich, genau aufzupassen, aber es gab eine Schlüsselinformation in der Erklärung, an der er sich festhalten konnte: Mein Immunsystem war durchgedreht und hatte begonnen, mein Gehirn anzugreifen.
»Entschuldigung«, unterbrach er den Wortschwall. »Wie heißt das noch mal?«
Er schrieb die Buchstaben »NMDA« in Blockschrift:
Donnerstag, 16. April 2009, 13.30 Uhr Habe einige Ergebnisse bekommen – PENN-STUDIE Positives Testergebnis Eierstocktumor (Teratom) NMDA-Rezeptor Antikörper 50-prozentige Wahrscheinlichkeit für Verbindung mit Tumor 100 Fälle, sehr kleine Testgruppe, Ultraschall der Vagina, 75 von 100 wurden gesund, NAJJAR – 8 oder 8.30 Uhr
Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, erklärte Frau Dr. Russo, ist eine Erkrankung, die in mehreren Stadien abläuft, die sich in ihrer Erscheinung und ihrem Fortschreiten stark unterscheiden. Bei 70 Prozent der Patienten beginnt die Erkrankung harmlos mit normalen grippeähnlichen Symptomen: Kopfschmerzen, Fieber, Übelkeit und Erbrechen, wobei unklar ist, ob sich die Patienten anfänglich eine Virusinfektion zugezogen haben, die mit dieser Erkrankung zusammenhängt, oder ob diese Symptome das Ergebnis der Krankheit selbst sind. Etwa zwei Wochen nach den anfänglichen grippeähnlichen Symptomen treten typischerweise psychische Probleme auf wie innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Angst, Größenwahn, Hyperreligiosität, Manie und Paranoia. Da die Symptome psychischer Natur sind, suchen die meisten Patienten zuerst einen Psychologen oder Psychiater auf. Bei 75 Prozent der Patienten treten Krampfanfälle auf, was als glücklicher Umstand zu bezeichnen ist, weil sie die Patienten vom Psychologen weg in die Praxis eines Neurologen bringen. Von da an tauchen Sprach- und Gedächtnisdefizite auf, die jedoch häufig von den dramatischeren psychischen Symptomen überdeckt werden.
Mein Vater seufzte erleichtert. Er fühlte sich von einem
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