Feuer: Roman (German Edition)
Stimme.
»Das meinst du jetzt nicht ernst«, murmelte er.
»Todernst«, antwortete Martina. »Carl …« Sie machte eine Handbewegung zur Tür hin. »Angelas Vater – er wollte es so. Es war eine reine Vernunftentscheidung, die wir drei gemeinsam getroffen haben.«
»Einfach so?«, fragte Will zweifelnd. Er machte eine ausholende Geste. »Ich meine: Das alles hier sieht nach einer Menge Geld aus.«
»Nach sehr viel mehr, als du wahrscheinlich selbst jetzt noch glaubst«, bestätigte Martina ernst, schüttelte aber zugleich auch den Kopf. »Aber es ging nicht um Geld. Jedenfalls nicht hauptsächlich. Ich gebe zu, dass es gewisse Vorzüge hat, kein Haushaltsbuch mehr führen zu müssen und sich beim Essen ein zweites Glas Wein bestellen zu können, ohne dafür mit dem Trinkgeld knausern zu müssen, aber das war nicht der Grund.«
»Sondern?«, fragte Will.
»Carl wollte sichergehen, dass sein Erbe nicht in die falschen Hände gerät«, antwortete Martina.
»Zum Beispiel in die seiner Tochter?«
»Die Sache ist ein bisschen komplizierter«, antwortete Martina gelassen. »Vielleicht fragst du Angela selbst, wenn du mich wirklich für eine Erbschleicherin hältst. Ich habe nichts dagegen.«
»He, he, das habe ich nicht gemeint!«, protestierte Will, was in diesem Moment durchaus der Wahrheit entsprach. Streng genommen hatte er gar nichts gemeint. Er wusste einfach nicht mehr, was er noch denken sollte. Alles, was er in den letzten Momenten gehört hatte, war nicht nur verwirrend, sondern schien mit jedem weiteren Wort weniger Sinn zu ergeben.
»Carl Schmidt war ein wirklich großer Mann«, fuhr Martina ungefragt fort. Ihre Stimme wurde weicher, und das auf eine Art, von der Will nicht glaubte, dass man sie schauspielern konnte. »Vielleicht einer der großartigsten Menschen, die ich jemals kennen gelernt habe – aber es besteht kein Grund, eifersüchtig zu sein. Er hat mich nie angerührt. Manchmal bedauere ich das sogar.«
Will beschloss, zumindest den letzten Satz komplett zu ignorieren. »Ich bin nicht eifersüchtig«, behauptete er.
»Wenn das wirklich stimmt, müsste ich stark beleidigt sein«, antwortete Martina. »Deshalb ziehe ich es vor, dir nicht zu glauben.« Sie lachte und wurde sofort wieder ernst. »Und du?«
»Wie meinst du das?«
»Wir haben uns zehn Jahre nicht gesehen«, antwortete Martina. »Ich frage mich, wie es dir in dieser Zeit gegangen ist – in den Jahren, in denen du nicht eingesessen hast, meine ich.«
Eingesessen, wiederholte er in Gedanken. Das war kein Wort aus seiner Welt, obwohl er selbst es hundertmal besser kannte als sie – und vor allem wusste, was es bedeutete. Und trotzdem machte ihm allein die Wahl dieses simplen Wortes klar, wie gewaltig die Kluft zwischen den grundverschiedenen Universen war, in denen sie mittlerweile lebten.
»Wenn du so gut informiert bist, dann weißt du den Rest vermutlich auch«, sagte er bitter.
»Ich frage nicht nach deinem Lebenslauf«, antwortete Martina. »Wenn mich Daten interessieren, bitte ich Angela, ihren Computer einzuschalten, und kann dir in zehn Minuten sagen, wann du dir das letzte Mal ein Paar neue Unterhosen gekauft hast.« Sie schüttelte heftig den Kopf, als er widersprechen wollte. Auch das hatte sich nicht geändert. Sie war immer eine gute Zuhörerin gewesen, aber wenn sie wirklich der Meinung war, etwas sagen zu müssen, dann tat sie es. »Mich interessiert, wie es dir ergangen ist.«
»Wie soll es mir ergangen sein?«, antwortete Will schulterzuckend. »Immer noch der alte Trott.« Er schien ganz langsam aus dem Schockzustand zu erwachen, in den ihn ihr Anblick versetzt hatte. Immerhin hatte er sich jetzt wieder genug in der Gewalt, um sie ohne Scheu ansehen zu können. Aber das Ergebnis verwirrte ihn eher noch mehr. Vorhin, bei ihrem allerersten Anblick, hatte er den Eindruck auf seine Überraschung geschoben, und den absoluten Schock, den ihm ihr plötzliches Auftauchen bereitet hatte. Nun aber sah er, dass er sich keineswegs getäuscht hatte: Es war gut zehn Jahre her, dass sie sich das letzte Mal so nahe gewesen waren wie jetzt, und sie war keinen Tag älter geworden. Es dauerte noch einen Moment, bis Will begriff, warum das so war: Martina hatte sich ihre jugendliche Schönheit und Grazie erhalten, aber es war etwas hinzugekommen. Da war etwas in ihrem Blick, etwas, das jede ihrer Bewegungen, jeder einzelne Atemzug ausstrahlte und das sie auf kaum in Worte zu fassende Weise weiblicher machte.
»Du meinst,
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