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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dauert denn das noch?«
    »Gedulden Sie sich, Falkenberg«, sagte Reimann seufzend. »Oder haben Sie schon einmal eine Frau erlebt, die nicht endlos braucht, um sich anzuziehen?«
    Falkenberg fand das nicht lustig. Er sagte zwar nichts, aber sein Gesichtsausdruck war dafür umso beredter.
    »Was ist hier eigentlich los?«, fragte Will. »Erzählen Sie mir nicht, Sie wären mit zwei Mann hier aufgetaucht, um eine kleine Ausreißerin zurückzuholen.«
    »Wer hat gesagt, dass sie ausgerissen ist?«, schnappte Falkenberg.
    Will verfluchte sich in Gedanken – nicht weil er Falkenberg in die Falle getappt war, sondern weil er gegen seinen eigenen Vorsatz verstoßen und überhaupt mit ihm gesprochen hatte. Er hielt Falkenbergs Blick drei oder vier Sekunden lang stand, dann drehte er sich mit einem Ruck weg und starrte die Schlafzimmertür an. Auch wenn er es niemals laut ausgesprochen hätte: Er fragte sich selbst, wo zum Teufel Duffy so lange blieb. Es konnte allerhöchstens eine Minute dauern, in Jeans und T-Shirt zu schlüpfen.
    Falkenberg machte einige weitere ruhelose Schritte, bevor er wieder stehen blieb und demonstrativ mit dem Zeigefinger unter seinen Hemdkragen fuhr. »Wieso ist es eigentlich so warm hier drinnen?«, ächzte er. »Haben Sie etwa die Heizung an, Sie Irrer?«
    »Klar«, antwortete Will. »Sie etwa nicht? Immerhin haben wir Ende August. In gut vier Monaten ist Weihnachten.«
    In Falkenbergs Augen blitzte es auf. Er holte Luft zu einer wütenden Antwort, drehte sich aber dann nur wortlos um und trat mit zwei Schritten an den Heizkörper neben der Badezimmertür. Der Thermostat stand auf null, aber Falkenberg legte trotzdem die flache Hand auf die rostfleckigen Rippen und lauschte für einen Moment in sich hinein. Als er sich wieder aufrichtete, schwankte sein Gesichtsausdruck zwischen Verwirrung und Wut. Selbstverständlich war die Heizung nicht eingeschaltet. Es war vermutlich nicht wirklich der heißeste Sommer des Jahrhunderts (oder vielleicht doch, wenn man bedachte, dass das Jahrhundert erst wenige Sommer alt war), aber doch einer der heißesten, an die Will sich erinnern konnte. Seit er in diesem erbärmlichen Loch von einer Wohnung hauste, hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht als eine Klimaanlage.
    Was nichts daran änderte, dass Falkenberg gleich in zweierlei Hinsicht Recht hatte: Es war unangenehm warm hier drinnen, und Duffy brauchte wirklich lange, um sich anzuziehen. Bevor der Zorn in Falkenbergs Augen sich auf ein Ziel fokussieren konnte –und die Auswahl war nicht besonders groß –, drehte Will sich hastig um und trat an Reimann vorbei an die Schlafzimmertür.
    Er klopfte, wartete einen Moment lang auf eine Antwort und trat ein. Duffy saß mit angezogenen Knien auf dem Bett und starrte ins Leere. Der nasse Hausmantel war ihr von der Schulter gerutscht und entblößte nicht nur ihre blasse Haut, sondern auch einen so ausgemergelten Körper, dass Will für einen Moment erschrocken in der Bewegung innehielt. Er hatte gewusst, dass Duffy mager war, und das bis an die Grenze zu Untergewicht. Was aber zumindest teilweise unter dem durchnässten Frotteemantel zum Vorschein kam, das war kaum mehr als ein Skelett. Außerdem glaubte Will das Ende einer dunkelroten, gut kleinfingerbreiten Linie zu erkennen, die irgendwo auf Duffys Rücken begann, sich bis zum Schlüsselbein hinaufzog und möglicherweise eine noch nicht annähernd verheilte Narbe darstellte, aber Duffy hob rasch die Hand und zog den Mantel wieder hoch, bevor er noch einmal hinsehen konnte. Als er jedoch in ihr Gesicht blickte, waren ihre Augen so leer wie zuvor. Ihre Bewegung war ein bloßer Reflex gewesen, keine bewusste Reaktion auf sein Eintreten.
    »Brauchen Sie da drinnen Hilfe?«, rief Falkenberg vom Flur her.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, wiederholte die alte Dame noch einmal.
    Ich blickte verwirrt hoch. Clara hatte ihren Kopf tief in meinem Mantel vergraben, doch jetzt schreckte sie auf und rückte so weit von mir weg, wie das auf der Holzpritsche möglich war, auf der wir zusammengepfercht waren wie Schweine im Hinterhof einer Großschlachterei.
    »Nein, nein«, sagte ich rasch. »Es ist alles in Ordnung.« Ich rang mir ein Lächeln ab, soweit das möglich war. »Die trockene Luft. Sie lässt sich ohne Wasser schlecht ertragen.«
    Die alte Dame nickte. Die Brille in der teuren Goldeinfassung rutschte ihr dabei ein Stück die Nase herunter, und sie schob sie mit einer ungelenken Bewegung zurück, die verriet, dass sie

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