Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
Vom Netzwerk:
Holzstäbe der Pforte. Der Schwarze kannte als einziger mein Baumversteck.
    Er stelzte steifbeinig bis zur Straßenmitte, schaute lange nach links und noch länger nach rechts. Weder Hageldorns Graugetigerte ließ sich blicken noch Sellmers Schwarze mit den eleganten weißen Socken. Schwenkte er nach links ab, um in den Büschen am Kliff herumzustöbern? Dort trieb sich Hannah Posteis struppige Alte häufig herum, und eine struppige Alte war immer noch besser als gar keine.
    Nein, der Kater besann sich auf seinen heimlichen Bekannten im Baum. Mit dem längsten Satz, den seine alten Beine noch hergaben, setzte er über den Steinwall und krallte sich am Stamm der Kastanie empor.
    „Na, Alter!“
    Ich kraulte ihm das Nackenfell. Er bedankte sich mit einem rauhkehligen Schnurren, rieb den Dickkopf an meinem Schenkel, wobei er sich sicher wie ein Seiltänzer auf dem glatten, runden Ast hielt.
    „Genug für heute. Zieh ab.“
    Der Kater konnte ja nichts dafür, daß ich den Mann haßte, unter dessen Dach er lebte.

    Ich rannte.
    Meine Schuhe trommelten die Straße.
    Schneller! Der Wind stöhnte, und die Äste drohten.
    Hinter mir war der Himmel rot.
    Und ich drehte mich nicht um.
    Die halbe Allee hatte ich schon durchlaufen — da fing sie an. Zuerst flüsterte sie, als hätte sie noch nicht genug Luft, aber dann wurde sie lauter und lauter.
    Feuer! heulte die Sirene auf dem Gemeindehaus.
    Sie wurde wieder leise, murmelte gerade noch, als ich bei den letzten Bäumen der Allee ankam. In der Gartenpforte setzte sie zu ihrem zweiten Ruf an. Und als ich das Fenster geöffnet hatte, war sie am lautesten: Feuer in Tarrafal!
    Ich wollte ins Zimmer klettern, rührte mich aber nicht von der Stelle. Der Wind zerrte an meinen Kleidern, als wollte er sagen: Los! Verschwinde! Das Feuer ist meine Angelegenheit! Ich hatte einen glühend heißen Kopf. Konnte ich kein Sirenengejammer ertragen?
    Ich drehte mich um: Die Wolken hatten glühende Bäuche. Fenster wurden gelb. Fenster öffneten sich. Türen klappten. Tarrafal wachte von einer Minute zur anderen auf. Die Feuersirene erreichte jeden Schlaf, durchbohrte jeden Traum. Sie stürzten, sie taumelten aus den Betten. Es war, als könnte ich in die Häuser hineinschauen. Sie fragten, noch bevor die Hände den Lichtschalter berührten: ...unsere Sirene? Wo? Im Dorf?... In der Nähe?... Doch wohl nicht das Nachbarhaus?... Hör den Wind! Er ist gefährlich... Wir leben unter Reetdächern... Herrgott, meine Brille... Sie streiften die Kleider über, egal wie. Sie rissen die Gardinen zurück, sahen den roten Himmel.
    In den Häusern, in denen Feuerwehrleute wohnten, ging es anders zu. Die redeten nicht unnötig, fragten nicht. Sie erfuhren es ohnehin als erste. Bei ihnen lagen die Kleider bereit, die Helme, die Gürtel, die Äxte. Sie knöpften sich auf der Treppe die Jacken zu, schnallten die Koppel auf der Straße um. Sie wußten, daß es um Minuten ging. Reetdächer! Und der Wind war ein Blasebalg; er war stärker als ihre armseligen Wasserstrahlen.
    Die Sirene röchelte und schwieg. Aber die Sirene im Nachbardorf nahm das Signal auf. Es klang wie ein Echo, das durch eine Watteschicht zu uns gelangte.
    Bei Tante Lene wurden zwei Fenster hell.
    Nebenan leuchteten die Vorhänge auf. Licht bei Mutter! Verdammt! Was trödelte ich noch hier herum! Ins Zimmer, damit ich Anorak und Schuhe loswurde, bevor ich Mutter traf. Wenn sie auch noch so fest schlief - die Feuersirene hatte sie nicht überhört. Sie würde nicht viel fragen. Wahrscheinlich ging sie bald wieder ins Bett. Dann konnte ich noch einmal losziehen. Wenn ich wollte...
    Wir begegneten uns im Flur. Mutter lehnte im Türrahmen und fragte schlaftrunken: „Markus... Das war doch die Sirene — unsere Feuersirene. Brennt es im Dorf?“
    Was sollte ich ihr sagen?
    „Irgendwo im Westen brennt’s, muß ein ziemliches Feuer sein. Den roten Himmel kann man vom Fenster aus sehen.“ Mutter hatte den Feuerschein bestimmt noch nicht bemerkt.
    Ihre Schlafzimmervorhänge schlossen so fest, daß sie nicht einmal den kleinsten Spalt zum Durchschauen ließen.
    „Ist es nahebei?“ fragte sie. Besonders neugierig klang ihre Stimme nicht.
    „Nicht sehr nahe. Ich will gleich mal aus dem Bodenfenster schauen, vielleicht ist von oben mehr zu sehen. Der Wind macht die Sache schlimm. Die Feuerwehren werden tüchtig zu tun kriegen. — Gehst du wieder ins Bett?“
    „Ja. Ich fühle mich nicht besonders.“
    Sie fühlte sich nie besonders.
    „Soll ich

Weitere Kostenlose Bücher