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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
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könnten. Ich wußte ja, wie sehr du darauf gewartet hast. Du solltest dir wohl doch ein Telefon zulegen, Niklas — falls du noch mehr Enkelkinder erwartest.“ Tim Weppler lachte.
    „Ja — nein... Ich bin ganz durcheinander“, sagte Niklas Hageldorn. „Komm, Tim, wir müssen unbedingt einen aus der besten Flasche trinken. Das sind wir dem ersten Enkelkind schuldig...“
    Ich hörte nicht mehr, was der Briefträger darauf antwortete; eine Windbö verstopfte meine Ohren. Ich sah aber, wie Niklas Hageldorn Tim Weppler über die Türschwelle zog…
    Tim Weppler war ein fröhlicher Briefträger. Wind und Wetter hatten sein Gesicht krebsrot gefärbt. Doch es gab Leute in Tarrafal, die behaupteten, daß seine Gesichtsfarbe wohl eher von den Schnäpsen herrührte, die Tim auf seinen vielen Wegen eingeschenkt bekam. Ich mochte Tim Weppler lieber als die, die so über ihn redeten. Er konnte den Mund halten. Am Beginn des Jahres traf er mich mal mit Sylvie zusammen an einem Ort, wo uns eigentlich niemand sehen sollte. Zwei Tage später schlich ich an ihm vorbei, und da winkte mich Tim zu sich heran. „Ich hab’ nichts gesehen, rein gar nichts. Kannst dich drauf verlassen, Markus“, sagte er und zwinkerte mir zu. Das vergaß ich Tim Weppler nicht.
    Nanu?
    Da schlich jemand an Sönderups Wall entlang.
    Mein Fernglas faßte eine Gestalt, die mehr unterwegs als zu Hause war: Wieselig , die linke Schulter vorgeschoben, als müßte sie die Luft zerteilen wie ein scharfer Motorbootsbug das Wasser, so schnüffelte einer am jenseitigen Straßenrand entlang: David Küppers, Tischlermeister, Sarghändler, Gemeindevertreter, Kegelklubvorsitzender und Feuerwehrhauptmann in Tarrafal! Das waren die Ämter, von denen ich wußte. Es konnten auch mehr sein. Am liebsten hörte er, wenn man ihn „Chef der Tarrafaler Feuerwehr" nannte. Und wer die Feuerwehr lobte, konnte von ihm ein schmieriges Lächeln ernten. In Zivil sah er aus wie eine schmuddelige Ratte. In seiner Feuerwehruniform zeigte er mehr her.
    Wie hatte Vater von ihm gesagt? „... wenn der nicht über Brand und Feuerwehr reden kann, redet er über andere, nur — selten etwas Gutes.“ Tante Lene hielt auch nicht viel von ihm. „... einer, der mit der Uniform verdecken muß, daß er ein hundsmiserabler Handwerker ist.“ So sagte sie mal wütend, als ihr ein Küchenstuhl aus dem Leim ging, den er gerade erst repariert hatte.
    Ich verfolgte David Küppers mit dem Fernglas, sah, wie er eine rasche Kopfwendung hin zu Sönderups Fenstern machte, ohne anzuhalten weitereilte und dann durch Anton Sellmers Haustür schliefte , wie das Kaninchen in die Notröhre. Sellmers Schuppendach war ein Ausweichversteck von mir.
    Was hatten David Küppers und Anton Sellmer zu bereden? Geschäfte mit altem Gerümpel?
    Vor mir im Umkreis von hundert Metern wohnten drei Menschen, von denen erzählt wurde, daß sie hinter dem Geld her seien — mit klebrigen Fingern. Wir hörten eine Menge von dem, was Erwachsene übereinander zu sagen hatten . Schließlich stopften wir uns die Ohren nicht zu. Anton Sellmer machte Geschäfte mit altem Zeug, das er als Antiquitäten verkaufte. Er war ein pfiffiger, rundlicher Mann mit einem harmlosen Gesicht, dem die meisten glaubten, was er ihnen vorlog. Im Sommer, wenn die Feriengäste in Scharen auf seinen Antiquitäten-Leim flogen und das Geschäft lief, spendierte er den Kindern häufig ein Eis. Dieser Küppers war wie ein rostzerfressenes Ofenrohr — außen unansehnlich, lang, hohl und leer, innen schmierig, fettig und schwarz. In seiner Tischlerwerkstatt war er selten anzutreffen. Das Sarggeschäft mit den Beerdigungen brachte das Geld ein.
    Die Beerdigung meines Vaters hatte er auch ausgestattet, und Tante Lene regelte alles. Mutter konnte nicht. „Nervenzusammenbruch “ , sagte der Arzt.
    An dem Tag nach der Beerdigung war ich zum ersten Mal nachts allein unterwegs gewesen — weit draußen vor dem Dorf auf dem Friedhof. Und damals merkte ich, daß es mir nichts ausmachte, in der Dunkelheit allein zu sein. Wenn ich schon auf dem Friedhof keine Angst hatte... Tante Lene fing mich vor der Gartenpforte ab, als ich zurückkam. Sie legte den Arm um mich, zog mich durch ihre Haustür. „Komm, Markus, du schläfst hier, bis deine Mutter wieder gesund ist. Am Tag schauen wir nach ihr.“ Sie hatte Kakao heißgestellt, den tranken wir mit Rum. Und sie goß mir genausoviel Rum in die Tasse, wie sich selber. Ich glaube, wir weinten beide.
    Der Grabhügel war ganz

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