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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
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darüber weißt, bitte, sag es mir! Und warte nicht zu lange damit. Wo du mich treffen kannst, ist dir ja bekannt.“
    „Ja“, sagte ich. Sagte ich ja?
    Ich brachte die letzten dreihundert Meter hinter mich.
    Tante Lene stand vor unserer Pforte.
    „Er ist tot“, sagte ich.
    „Ich weiß“, sagte sie. „Du mußt jetzt schlafen, Markus. Wenn du willst, reden wir morgen darüber.“ Sie schob mich durch die Pforte.
    Ich holte den Schlüssel unter dem Mauerstein hervor, schloß auf, schloß zu, zog mich aus, fiel ins Bett.
    Nebenan war es still. Mutter wußte nichts von alledem. Jumbo Tackert hoffte, daß es keine Brandstiftung gewesen war. Niemand im Dorf wußte, wie es geschah: nur ich!
    Ich wollte meine Gedanken in Ordnung bringen, aber das gelang mir nicht. Immer wieder mußte ich an Peter Sönderup denken, und daran, daß er tot war. Nein. Nicht nur tot — verbrannt! Verbrannt! Verbrannt!
    Ich stand auf, stürzte in die Toilette, kotzte in das Becken. Hinterher trank ich ein Glas Wasser.

Theo Bank:
ein Lumpensammler

    Ich heiße Bank, Theo, Kriminalobermeister im Brandermittlungsdezernat.
    Eineinhalb Tage nach dem Feuer machte ich mich auf den Weg nach Tarrafal, um nach einem Brandstifter zu fahnden oder nachzuweisen, daß es keinen gab.
    Tarrafal... Ein ungewöhnlicher Ortsname, ein Kolibri unter gewöhnlichen Hausspatzen. Ein kleines Inseldorf. Ich rechnete nicht mit einer besonderen Sache.
    Tarrafal wurde ein ungewöhnlicher Fall.
    Ich bin ein nüchterner Mensch, der den Tatsachen nachjagt. Bei den Ermittlungen in Tarrafal erfuhr ich wenig über einen Brandstifter, aber viel über Menschen.
    Kriminalistik, wie ich sie betreibe, bietet nichts Abenteuerliches und Geheimnisvolles, wenn man davon absieht, daß das Gesicht eines Täters lange Zeit und manchmal für immer ein Geheimnis bleiben kann.
    Mit einem Revolver fuchtle ich nur auf dem Schießstand herum. Sonst brauche ich keine Waffe. Ich bin mehr ein Reisender, der andere mit Fragen belästigen muß: mit wichtigen Fragen, nebensächlichen Fragen, Wiederholungs- und Fangfragen. Man belügt mich, man verschweigt mir, man sagt mir die halbe oder auch die ganze Wahrheit, und ich wehre mich dagegen mit den Tricks und Finten, die man in meiner Branche lernt. Nur selten sieht jemand in mir den Menschen, der Freunde sucht, Blumen liebt und angelt.
    Man könnte mich einen Lumpensammler nennen; denn ich suche auf zahlreichen Wegen viele Informationen wie alte Lumpen zusammen. Ich beschnüffle und sortiere, ich trenne Wichtiges vom Unwichtigen, ordne, tausche aus, werfe weg, lege immer wieder ein neues Muster. Bis ich einen Flickenteppich menschlicher Irrtümer, Narrheit und Niedertracht zusammengestückelt habe. Man erwartet, daß meine gesammelten Geschichten wahr sind. Aber nicht selten erzählen sie nur die halbe Wahrheit.
    Eine neue Geschichte begann, von der ich nur das Ende in meiner Aktentasche bei mir trug. Den Anfang und die Mitte mußte ich suchen.
    Der Eisenbahndamm zersägte Wasser und Land in zwei Hälften, die einander glichen. Das stumpfe Grau einer Wattenlandschaft im Oktober zog an meinem Abteilfenster vorbei. Ein paar Rotschnäbel storchten auf Streichholzbeinen durch den Schlick. Hier und da faulenzte eine Möwe auf den Buhnenköpfen. Ein leiser Wind rillte die Pfützen, die das fliehende Wasser zurückließ. Bleifarbene Wolken quollen am Nordhorizont, um frühe Dunkelheit und neuen Wind anzukünden.
    Ich sah, aber meine Gedanken wollten sich nicht mit der Landschaft beschäftigen. Sie eilten dem Zug voraus, einer Aufgabe zu, die für mich fast immer mit einem Gespräch in einem fremden Amtszimmer begann, mit verkohlten Balken weiterging und mit einem Schlußbericht endete. Eine neue Bekanntschaft stand mir bevor: Ich lernte endlich eine
    Insel kennen. Bisher war ich nicht weiter als bis an die Küste gekommen.
    Kommissar Melchior, mein Vorgesetzter, hatte mich in seiner hastigen und ironischen Art mit meiner Aufgabe bekanntgemacht.
    „...setzen Sie sich getrost auf die Bahn, Bank. Ein romantisches Inseldorf erwartet Sie — malerische Reetdachhäuser, von malerischen Steinwällen und malerischen Heckenrosen umgeben. Alles malerisch — auch die Preise, die die Feriengäste zahlen müssen. Nichts für Familienväter mit Kindern und normaler Brieftasche. Nun, Sie reisen ja dienstlich. Dann gibt es zwei Schönheitsfehler: eine Brandstiftung — mögliche Brandstiftung! — und eine Leiche. Und einen Haufen Gerüchte.“
    Er schob mir einen

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