Feuer Und Stein
eine ganze Serie von Kriegsberichten gefunden, in denen Jonathan Randall erwähnt wird.«
»Nun, ein guter Teil seines Ruhms scheint Hauptmann Randalls eigener Verdienst gewesen zu sein«, bemerkte der Pfarrer und nahm Frank ein paar Blätter aus der Hand. »Er befehligte etwa vier Jahre lang die Garnison von Fort William und verbrachte offenbar einen guten Teil dieser Zeit damit, die schottischen Grenzgebiete im Auftrag der Krone zu schikanieren. Dies…« - er sonderte behutsam einen Stapel Papiere aus und legte sie neben die anderen -, »dies sind Berichte von Beschwerden, die mehrere Familien und Gutsbesitzer gegen den Hauptmann einlegten. Vorgebracht wurde alles mögliche, von der Belästigung des weiblichen Personals durch Soldaten bis hin zum Pferdediebstahl, ganz zu schweigen von diversen Fällen nicht näher erläuterter ›Beleidigungen‹.«
Das amüsierte mich. »Dann hast du also einen klassischen Schurken unter deinen Ahnen?« sagte ich zu Frank.
Er zuckte ungerührt die Achseln. »So war er nun einmal, und ich kann nichts mehr daran ändern. Ich möchte es nur herausfinden. Solche Beschwerden sind für die Zeit nicht allzu ungewöhnlich; die Engländer im allgemeinen und das Heer im besonderen waren im schottischen Hochland recht unbeliebt. Ungewöhnlich ist nur, daß die Beschwerden anscheinend nie zu etwas geführt haben.«
Der Pfarrer, unfähig, lange still zu bleiben, schaltete sich ein. »Das ist richtig. Nicht, daß die Offiziere damals an die uns heute geläufigen Normen gebunden waren; sie konnten in kleineren Angelegenheiten so ziemlich tun, was sie wollten. Aber es ist seltsam, daß man die Beschwerden nicht verfolgte und dann abwies; sie werden einfach nicht mehr erwähnt. Wissen Sie, was ich vermute, Randall? Daß Ihr Ahnherr einen Gönner hatte. Jemanden, der ihn vor seinen Vorgesetzten in Schutz nahm.«
Frank kratzte sich am Kopf und schielte nach den Berichten. »Da mögen Sie recht haben. Muß aber jemand ziemlich Mächtiges gewesen sein. Weit oben in der militärischen Hierarchie, vielleicht auch ein Mitglied des Hochadels.«
»Ja. Und es könnte sein -« Der Pfarrer wurde unterbrochen, als seine Haushälterin, Mrs. Graham, eintrat.
»Ich bringe Ihnen eine kleine Stärkung, meine Herren«, verkündete sie und stellte das Teebrett resolut in die Mitte des Schreibtischs, von wo der Pfarrer seine kostbaren Berichte gerade noch rechtzeitig zu retten vermochte. Mrs. Graham betrachtete mich prüfend und wußte das Zucken in meinen Gliedern und die gelinde Verglasung meiner Augen völlig richtig zu deuten.
»Ich habe nur zwei Tassen gebracht, weil ich mir dachte, daß sich Mrs. Randall vielleicht zu mir in die Küche setzen möchte. Ich habe ein wenig -« Ich wartete nicht auf den Schluß der Einladung, sondern sprang eilfertig auf. Als wir durch die Schwingtür traten, die in die Pfarrhausküche führte, hörte ich, wie die Herren erneut in Theorien ausbrachen.
Der Tee war grün, heiß und wohlriechend, und in der Flüssigkeit wirbelten Bruchstücke von Teeblättern.
»Mmm«, sagte ich, als ich die Tasse absetzte. »Es ist lange her, daß ich Oolong getrunken habe.«
Mrs. Graham nickte und strahlte über meine Freude an ihrem Imbiß. Sie hatte sich einige Mühe gemacht, handgefertigte Spitzendeckchen unter die Tassen aus Eierschalenporzellan gelegt und dicke Schlagsahne zum Gebäck gestellt.
»Aye, im Krieg konnte ich keinen bekommen. Dabei ist er am besten fürs Lesen. Mit dem Earl Grey war es ganz furchtbar. Die Blätter fallen so schnell auseinander, daß man kaum was erkennen kann.«
»Ach, Sie lesen aus dem Teesatz?« fragte ich leicht amüsiert. Nichts konnte der volkstümlichen Vorstellung von der wahrsagenden Zigeunerin ferner sein als Mrs. Graham mit ihrer kurzen eisengrauen Dauerwelle und ihrer dreireihigen Halskette. Ein Schluck Tee rann ihr durch die lange, sehnige Kehle und verschwand zwischen den matt schimmernden Perlen.
»Aber sicher, mein Kind. Ich habe es von meiner Großmutter gelernt, und die hatte es von ihrer Großmutter. Trinken Sie aus, und ich werde sehen, was wir da haben.«
Mrs. Graham schwieg lange, drehte nur dann und wann die Tasse ins Licht oder rollte sie langsam zwischen ihren schmalen Händen, um sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Sie stellte die Tasse so behutsam ab, als müßte sie befürchten,
daß sie ihr ins Gesicht explodierte. Die Falten zu beiden Seiten ihres Mundes waren tiefer geworden, und sie hatte die Augenbrauen
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