Feuer Und Stein
keinerlei Orientierungssinn, und ich hatte mir von Frank nie erklären lassen, wie man sich mit Hilfe der Sterne zurechtfindet. Beim Gedanken an Frank hätte ich am liebsten geweint, und so versuchte ich mich abzulenken, indem ich mich bemühte, Sinn in die Ereignisse des Nachmittags zu bringen.
Es schien unvorstellbar, aber alles deutete darauf hin, daß ich an einem Ort war, wo immer noch die Sitten, Bräuche und politischen Verhältnisse des achtzehnten Jahrhunderts herrschten. Ich hätte vermutet, das Ganze sei irgendeine Veranstaltung mit Kostümen, wären da nicht die Verletzungen des jungen Mannes gewesen, den die anderen Jamie nannten. Die Wunde an der Schulter war tatsächlich durch eine Musketenkugel oder dergleichen verursacht worden, soweit ich sehen konnte. Auch das Verhalten der Männer in der Kate paßte nicht zu einem Theaterspiel. Es waren ernsthafte Leute, und ihre Dolche und Degen waren echt.
Ich schaute zum Felsen zurück, um festzustellen, wo genau ich war, und blickte dann zum Horizont. Dort sah ich nichts außer fedrigen Kiefernnadeln, die undurchdringlich schwarz vor dem Sternenzelt aufragten. Wo waren die Lichter von Inverness? Wenn das hinter mir der Cocknammon Rock war - und er war es -, dann war Inverness keine drei Meilen entfernt. Ich hätte die Lichter der Stadt sehen müssen. Wenn sie denn da war.
Schaudernd drückte ich die Arme an den Körper, damit ich nicht so fror. Selbst wenn ich einen Moment die völlig unwahrscheinliche Vorstellung, daß ich mich in einer anderen Zeit befand, gelten ließ - Inverness existierte seit sechshundert Jahren. Mit anderen
Worten, es lag vor mir. Unbeleuchtet. Das legte die Vermutung nahe, daß es noch kein elektrisches Licht gab. Ein weiterer Beweis, falls es not tat. Aber was genau bewies es?
Ein Schatten trat aus der Dunkelheit - so dicht vor mir, daß ich fast mit ihm zusammenstieß. Ich unterdrückte einen Schrei und wollte davonrennen, doch eine große Hand packte meinen Arm und vereitelte die Flucht.
»Keine Angst, Mädchen. Ich bin’s.«
»Genau das habe ich ja befürchtet«, sagte ich verdrossen, obwohl ich tatsächlich erleichtert war, daß es Jamie war. Vor ihm hatte ich nicht so viel Angst wie vor den anderen Männern. Zwar sah er genauso gefährlich aus, doch er war noch jung, vermutlich sogar jünger als ich. Und es fiel mir schwer, vor jemandem Angst zu haben, den ich gerade verarztet hatte.
»Ich hoffe, Sie haben die Schulter nicht übermäßig belastet«, sagte ich mit der rügenden Stimme einer Mutter Oberin. Wenn ich einen ausreichend gebieterischen Ton anschlug, konnte ich ihn vielleicht dazu bewegen, daß er mich gehen ließ.
Jamie massierte die verletzte Schulter mit seiner freien Hand. »Das kleine Scharmützel hat ihr nicht gutgetan«, gab er zu.
Im selben Moment trat er ins helle Mondlicht, und ich sah den riesigen Blutflecken auf seiner Brust. Arterielle Blutung, dachte ich sofort, aber warum steht er dann noch aufrecht?
»Sie sind verletzt!« rief ich. »Ist die Wunde an Ihrer Schulter wieder aufgebrochen, oder ist das neu? Setzten Sie sich und lassen Sie mich nachsehen!« Ich schob ihn auf einen Haufen Felsblöcke zu und ging im Geiste rasch die Erste-Hilfe-Maßnahmen in einem solchen Fall durch. Kein Verbandmaterial zur Hand außer dem, was ich am Leibe trug. Ich griff nach den Resten meines Unterrocks und wollte die Blutung damit stillen, als Jamie lachte.
»Kümmere dich nicht drum, Mädel. Das ist nicht mein Blut. Jedenfalls nicht viel davon«, fügte er hinzu und zupfte den durchweichten Stoff von seinem Körper ab.
Ich schluckte, weil mir ein wenig übel war. »Oh«, sagte ich matt.
»Dougal und die anderen warten sicher an der Straße. Gehen wir.« Jamie nahm meinen Arm, weniger eine galante Geste als ein Mittel, mich zum Mitkommen zu zwingen. Ich stemmte die Fersen in den Boden.
»Nein! Ich komme nicht mit!«
Jamie blieb verwundert stehen. »Doch. Du kommst mit.« Meine Weigerung erboste ihn offenbar nicht; es schien ihn eher zu amüsieren, daß ich etwas dagegen hatte, erneut entführt zu werden.
»Und wenn ich es nicht tue? Schneiden Sie mir dann die Kehle durch?« fragte ich. Er sann darüber nach und antwortete gelassen: »Nein. Du siehst nicht so aus, als wärst du schwer. Wenn du nicht freiwillig mitkommst, werfe ich dich einfach über die Schulter. Soll ich?« Er machte einen Schritt auf mich zu, und ich wich hastig zurück. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß er es tun
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