Feuer Und Stein
vergangen. Zumindest glaubte ich jetzt zu wissen, warum er errichtet worden war.
An sich hatten die Steine wohl keine besondere Bedeutung, sie waren eher ein Zeichen. Wie ein Schild an einem Steilhang vor Steinschlag warnt, so sollten sie vor Gefahr warnen. Vor einer Stelle, an der… ja, was? An der die Kruste der Zeit sehr dünn war? Wo eine Tür nur angelehnt stand? Sicher wußten die Leute, die den Kreis errichtet hatten, selbst nicht genau, was sie da markierten. Für sie war es vermutlich ein magischer Ort; ein Fleck, an dem Menschen plötzlich verschwanden. Oder aus dünner Luft erschienen.
Das war auch eine Überlegung. Was wäre geschehen, fragte ich mich, wenn sich jemand auf dem Craigh na Dun aufgehalten hätte, als ich abrupt auftauchte? Das hing wohl von der Zeit ab, in die man eintrat. Wäre mir damals ein Kätner begegnet, so hätte er mich zweifellos für eine Hexe oder eine Fee gehalten.
Ich streckte einen Fuß unter der Decke hervor und wackelte mit
den langen Zehen. Sehr unfeenmäßig, befand ich kritisch. Ich war einsfünfundsechzig, also ziemlich hochgewachsen für eine Frau im achtzehnten Jahrhundert, so groß wie viele Männer. Da ich somit schwerlich zu den Kleinen Leuten gerechnet werden konnte, hätte ich vermutlich doch als Hexe gegolten. Da man damals mit derartigen Phänomenen nicht gerade zimperlich verfuhr, war ich dankbar dafür, daß mich niemand erscheinen gesehen hatte.
Ich fragte mich, was geschehen wäre, wenn es sich andersherum abgespielt hätte. Wenn jemand aus dieser Zeit verschwunden und in meiner wiederaufgetaucht wäre. Schließlich hatte ich genau das vor, wenn es irgend möglich war. Wie würde eine Schottin des zwanzigsten Jahrhunderts, beispielsweise Mrs. Buchanan, die Postamtsvorsteherin, reagieren, wenn jemand wie Murtagh plötzlich neben ihr aus dem Boden schösse?
Wahrscheinlich würde sie davonrennen, um die Polizei zu verständigen. Vielleicht würde sie auch nichts weiter tun, als ihren Freundinnen und Nachbarn von dem ungewöhnlichen Ereignis zu berichten…
Und der Besuch? Nun, wenn er vorsichtig war und ein bißchen Glück hatte, brachte er es vielleicht fertig, sich dem neuen Jahrhundert anzupassen, ohne allzu große Aufmerksamkeit zu erregen. Schließlich war es auch mir gelungen, als normale Zeitgenossin zu gelten, obwohl meine Kleidung und meine Sprache weiß Gott genug Argwohn geweckt hatten.
Was aber, wenn ein Mensch aus einem anderen Jahrhundert zu anders war oder lauthals verkündete, was ihm passiert war? Trat er in primitive Zeiten ein, so wurde er wohl ohne viel Federlesens getötet. In einer aufgeklärten Ära würde man ihn wahrscheinlich für verrückt halten und in die Psychiatrie stecken.
Ich war so tief in Gedanken, daß ich das schwache Gemurmel und die leisen Schritte im Gras nicht bemerkt hatte, und so war ich ziemlich erschrocken, als ich nur ein paar Meter weiter eine Stimme hörte.
»Soll dich doch der Teufel holen, Dougal MacKenzie«, sagte sie. »Ob wir nun verwandt sind oder nicht - das bin ich dir nicht schuldig.« Die Stimme war leise, aber sie bebte vor Zorn.
»Nein?« fragte eine zweite, milde erheitert. »Ich glaube, mich an einen Eid zu erinnern, mit dem du Gehorsam gelobt hast. ›Solange ich meinen Fuß auf das Land des MacKenzie-Clans setze‹, lautete er
wohl.« Es gab einen leisen, dumpfen Ton, als stampfte jemand auf festgedrückte Erde. »Und dies ist Mac-Kenzie-Land, mein Junge.«
»Ich habe Colum mein Wort gegeben, nicht dir.« Also sprach das Jamie MacTavish, und ich brauchte nicht dreimal zu raten, worüber er sich aufregte.
»Das ist ein und dasselbe, und du weißt es genau. Dein Gehorsam gilt dem Oberhaupt des Clans, und außerhalb von Leoch bin ich Colums Stellvertreter, seine rechte Hand.«
»Eher seine linke: Ich habe noch nie ein besseres Beispiel dafür gesehen, daß die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut«, erwiderte Jamie. »Was, meinst du, wird die rechte dazu sagen, daß die linke Geld für die Stuarts sammelt?«
Eine kurze Pause trat ein, ehe Dougal antwortete: »Die MacKenzies und MacBeolains und MacVinichs sind freie Männer. Niemand kann sie zwingen, gegen ihren Willen etwas zu spenden; niemand kann sie am Spenden hindern. Und wer weiß? Vielleicht gibt Colum am Ende mehr für Prinz Charles Edward als alle anderen zusammen.«
»Vielleicht«, bestätigte die tiefere Stimme. »Vielleicht regnet es auch morgen von der Erde zum Himmel. Das heißt aber nicht, daß ich mit umgestülptem
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