Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
überdimensionalen Wolkenkratzer – ähnlich jenem Gebäude, aus dem sie soeben gekommen sind. Josies Vermutung, hier wäre mehr als nur eine Firma ansässig, wird sofort korrigiert. Nein, dieser riesige Turm mit schätzungsweise einhundert Etagen beherbergt nur ein einziges Geldinstitut.
Die »Southern Credit Bank«.
Aha, dann hält Josephine Kent wohl gerade Einzug in die Hochfinanz. Wer hätte das gedacht? Eben noch auf dem College, ein unscheinbares Hühnchen vom Lande, jetzt bereits in den gehobenen Wirtschaftskreisen. Sie wirft einen raschen Blick zu Andrew, der wie selbstverständlich wieder ihre Hand genommen hat und sie durch das große Eingangsportal führt. Mit ziemlich gelassener Miene.
Okay ... wenn er nicht nervös ist, schafft sie das auch.
Kurz darauf stehen sie in der Lobby, die Josie eher an ein Hotel der Luxusklasse erinnert, als an eine Kreditanstalt.
Sollte sie überhaupt etwas erwartet haben, dann, dass sie an den mindestens zehn Meter langen Tresen treten, um Andrews Eintreffen zu melden. Aber genau das geschieht natürlich nicht. Kaum liegt die zweite Monstertür hinter ihnen, kommen gleich drei Männer in dunklen, irre teuer wirkenden Anzügen auf sie zugeschossen.
»Mr. Norton!«
Als Josie die Invasion auf sich zurollen sieht, drängt sie sich instinktiv gegen ihren Begleiter. Was wollen die Kerle? Deren Grinsen erinnert sie an Aasgeier, die sich begeistert auf ihre Beute stürzen. Dann erst geht ihr auf, was sie getan hat und sie schielt besorgt zu Mr. Perfekt hinauf. Er lächelt und verfestigt seinen Händedruck.
Okay ... Heimlich atmet sie auf. Einer ihrer schlimmsten Albträume ist es nämlich, ihn lächerlich zu machen. Obwohl sie ja insgeheim ständig damit rechnet.
Andrew nickt, mit einem Mal ernst. »Das ist Miss Kent.«
Drei fremde, bedrohliche Blicke huschen zu Josie, die sich zusammenreißen muss, um den dazugehörigen Arschlöchern nicht genau zu erklären, was sie von ihnen hält. Aber ganz genau! Doch mit einiger Mühe gelingt es ihr sogar, ihre Mundwinkel leicht nach oben zu ziehen.
Der älteste Aasgeier fängt sich als Erstes. »Sehr angenehm, Miss.«
»Danke«, murmelt sie und stöhnt innerlich. Das war zu leise. Andrew scheint allerdings das ‚ Wir kommunizieren laut und deutlich, Josephine!‘, nur auf seine Person zu beziehen, denn er ignoriert ihr Genuschel, als hätte es nicht stattgefunden.
»Mr. Dearinger wird gleich Zeit für Sie haben«, bemerkt der Zweite. Ein Mann um die dreißig mit rotem Haar, Sommersprossen, einer großen Nase und bleichen Lippen. »Wenn Sie uns bitte folgen würden ...«
Josie hat sich leicht verschätzt. Das Gebäude verfügt nicht über einhundert Stockwerke, sondern einhundert zwanzig . Sie fahren nämlich in die einhundertachtzehnte Etage.
Dort angekommen führt man sie in einen Empfangsraum, gegen den das Vorzimmer von Andrews Büro wie der kleine Babybruder anmutet – und das soll echt etwas heißen! Die riesige Polstergarnitur muss für sich bereits ein Vermögen gekostet haben. Davor befindet sich ein Glastisch, dessen schwere Platte eindeutig aus Kristall besteht. Unzählige Grünpflanzen sind beiläufig arrangiert; an den mit Holz getäfelten Wänden hängen alte Fotografien. Josie schätzt, sie dokumentieren die Geschichte der Bank. In der Ecke steht eine große Bar, einschließlich Hocker und – soweit sie das beurteilen kann – jeder Alkoholsorte, die es für Geld zu haben gibt.
Langsam kommt ihr der widerliche Verdacht, dass Andrews Date sich auf den Bankchef höchstpersönlich bezieht. Beinahe hätte sie hysterisch gekichert. Als sie hörte »Termin bei Dearinger«, sah sie vor ihrem geistigen Augen einen dieser gehobenen Schalter, hinter dem ein arroganter Banker sitzt, der, wenn Andrew Glück hat, ihm vielleicht einen Kaffee spendiert.
Niemals, nicht in tausend Jahren, hat sie mit der Möglichkeit gerechnet, dass er mit dem Direktor verabredet ist. Verstohlen schaut sie an sich hinab. Okay, das geht möglicherweise, aber ihr Haar! Sie hat es offen gelassen, weil sie weiß, dass Andrew das mag. Der Tag ist bereits einige Stunden alt und jetzt ist es garantiert nicht mehr ordentlich. Verflucht, er muss sich ihretwegen zu Tode schämen!
Sie haben sich auf die Couch gesetzt, womit nur noch zwanzig weitere Personen darauf Platz finden dürften. Eine Frau, die zu gut bezahlt wird, um den Konzernchef anzugaffen, erscheint und fragt die beiden, was sie trinken wollen.
Nicht ob, nein! Was!
Andrew mustert Josie
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