Feuerball
auf, sich die Brandkrusten unterm Hemd zu scheuern, lockerte zum zehntenmal den langläufigen 45er in der Schulterhalfter, ließ den Motor anspringen und kuppelte ein. Er stand zwanzig Meter hinter Bonds geparktem Bentley und hatte keine Ahnung, vor welchem Gebäude er hielt. Von der Rezeption in Shrublands hatte er lediglich Bonds Wohnadresse erfahren und ihn seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus in Brighton sorgfältig beschattet. Der Wagen war unter falschem Namen gemietet, nach Ausführung des Vorhabens würde er geradewegs zum Londoner Flughafen fahren und das erstbeste Flugzeug zum Kontinent nehmen. Für den Sanguiniker Graf Lippe war diese Abrechnung kein Problem. Rücksichtslos und rachsüchtig wie er war, hatte er im Leben schon viele Leute beseitigt. Seiner Ansicht nach würde SPECTRE nichts gegen diese Privataktion haben. Überdies hatte ihm das in der Klinik mitgehörte Telefongespräch bewiesen, daß seine Tarnung in Gefahr war.
Bond stieg in seinen Wagen und schlug die Tür zu. Unteragent G sah den blauen Rauch aus dem Doppelauspuff und fuhr an.
Auf der anderen Straßenseite, hundert Meter hinter dem Volkswagen, zog SPECTRE Nr. 6 die Motorradbrille übers Gesicht, kuppelte die 500er »Triumph« ein und sauste die Straße hinunter. Geschickt fuhr er durch den Verkehr - er war einmal Testfahrer bei DKW gewesen - und hielt sich dann zehn Meter hinter dem Volkswagen, gerade außerhalb des Rückspiegelfeldes. Er wußte nicht, weshalb Unteragent G den Bentley verfolgte. Sein Auftrag lautete bloß, den Volkswagenfahrer zu töten. So langte er in den Ledersack, den er vor sich über der Schulter trug, und griff nach der überschweren Handgranate. Dabei beobachtete er den Verkehr vor sich, um den Moment der günstigsten Fluchtmöglichkeit abzuwarten. Unteragent G hielt nach der gleichen Möglichkeit Ausschau. Auch er achtete auf den Laternenabstand auf dem Gehsteig, um, falls er blockiert würde, aus der Fahrbahn ausbrechen zu können. Jetzt waren nur wenige Wagen vorn! Er trat aufs Pedal, fuhr nur mit der Linken weiter und zog den Colt. Jetzt war er auf Höhe der hinteren Stoßstange des Bentley - jetzt fuhr er auf gleicher Höhe mit ihm! Das dunkle Profil bot ein gutes Ziel. Noch ein Blick nach vorn, und er hob den Revolver. Das Rattern des luftgekühlten Volkswagenmotors ließ Bond den Kopf wenden. Die kleine Bewegung rettete ihn. Hätte er jetzt Gas gegeben, dann wäre er in den zweiten Schuß hineingefahren. Aber ein glücklicher Instinkt ließ ihn auf die Bremse steigen und den Kopf so rasch ducken, daß er mit dem Kinn am Hupenknopf aufschlug. Fast im selben Moment erfolgte statt eines dritten Schusses eine Detonation, bei der ihm die Reste seiner schon zerschossenen Windschutzscheibe um die Ohren flogen. Der Bentley stand mit blockiertem Motor da, man hörte scharfe Bremsgeräusche, Geschrei und aufgeregtes Hupen. Bond bewegte den Kopf und hob ihn vorsichtig: der Volkswagen lag quer vor dem Bentley auf der Seite, ein Rad drehte sich noch, das Dach war fast ganz weggeblasen. Halb auf die Fahrbahn hing eine entsetzlich glitzernde Masse, und in den aufzüngelnden Flammen begann die Wagenfarbe Blasen zu ziehen. Inmitten des Menschenauflaufs riß Bond sich zusammen, sprang aus dem Wagen und schrie: »Zurück! Der Benzintank explodiert!« Noch in seine Worte tönte der dumpfe Knall, und aus einer Wolke schwarzen Qualms loderten die Flammen. Fern heulten Sirenen auf, und Bond bahnte sich einen Weg durch die Menge, um zum Ausgangspunkt seiner Fahrt zurückzuhasten.
Durch die Untersuchung versäumte Bond zwei Maschinen nach New York. Nachdem die Polizei den Brand gelöscht, die Reste untersucht und die Leiche zum Schauhaus gebracht hatte, stellte sich heraus, daß nur die Schuhe, die Waffennummer, ein paar Kleiderfetzen und der Wagen Anhaltspunkte boten. Beim Autoverleih erinnerte man sich nur eines Mannes mit dunklen Gläsern, eines Führerscheins auf den Namen Johnston und einer Handvoll Fünfpfundnoten. Der Wagen war vor drei Tagen für eine Woche gemietet worden. Dann entsannen sich viele Passanten eines Motorradfahrers, der keine Nummerntafel gehabt zu haben schien und fledermausgleich in Richtung Baker Street verschwunden war. Motorradbrille, mittelgroß. Sonst nichts.
Auch Bond hatte nicht viel auszusagen: das Dach des Volkswagens hatte den Mann verdeckt. Eine Hand und das Schimmern der Waffe, das war so ziemlich alles gewesen.
Der Geheimdienst verlangte eine Kopie des Polizeirapports, und M gab
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