Feuereifer
von der ganzen South Side, ich kann das nicht glauben.« Fünf aus der Gruppe kehrten in die Bar zurück, alle anderen überquerten die Straße in unbehaglichem Schweigen; niemand wollte den Pastor zur Rede stellen. Wir gingen durch den Altarraum zu dem großen Raum im hinteren Teil der Kirche, in dem nach dem Gottesdienst am Sonntag Kaffee getrunken wurde. In einer Ecke spielten ein paar Kleinkinder mit Plastiklastern und Puppen oder nuckelten an ihren Flaschen. Andres saß mit einer Gruppe von etwa zwölf Gemeindemitgliedern, vorwiegend Frauen, an einem Holztisch neben der Tür und sprach über den Propheten Jesaja.
»Was ist hier los?«, fragte Andres ärgerlich. »Wenn Sie die Bibel studieren, Frau Detektivin, sind Sie willkommen, aber wenn Sie hier stören wollen, müssen Sie warten, bis wir fertig sind. Das Wort des Herrn hat Vorrang vor allen menschlichen Kümmernissen.«
»Nicht vor allen, Roberto«, erwiderte sein Kollege. »Nicht, wenn es um Leben und Tod geht.«
Er sprach auf Spanisch weiter, aber so schnell, dass ich kaum etwas verstand. El coche, das war ich, dann sprach er über Freddy, Diego, den Brand, die Fabrik und pegamento, ein Wort, das ich nicht kannte. Andres widersprach ihm, aber die Frauen am Tisch sahen schockiert aus und begannen, sich zu unterhalten. Andres merkte, dass seine Gruppe nicht mehr auf ihn hörte, und klappte die Bibel zu.
»Wir machen fünf Minuten Pause«, verkündete er gebieterisch auf Englisch. »Ich werde mit dieser Detektivin in meinem Büro sprechen. Du kannst mitkommen, Tomas, zweifelnder Tomas«, fügte er hinzu, zu seinem Kollegen gewandt. Die Truppe, mit der wir aus dem Cocodrilo gekommen waren, und einige Frauen aus der Bibelgruppe folgten uns durch den Umkleideraum ins Büro des Pastors. Dort gab es außer dem Stuhl hinter dem Schreibtisch nur zwei Stühle für Gäste; die anderen Schaulustigen drängten sich an der Tür.
»Nun, Frau Detektivin, worum geht es hier? Weshalb belästigen Sie mich und das noch in der Kirche?«, fragte Andres, nachdem er sich an seinem Schreibtisch niedergelassen hatte.
»Freddy sagt, dass Sie bei Fly the Flag den Klebstoff in die Schlösser gespritzt haben. Ist das wahr?«
»Ja, Roberto, hast du das getan?«, fragte auch Tomas.
Andres blickte von Tomas zu der Gruppe an der Tür, als überlege er, ob er sich herausreden könne, aber niemand ermutigte ihn. »Frank Zamar war ein Mann, der sich entscheiden musste zwischen dem rechten und dem einfachen Weg, und es gelang ihm nicht immer, eine kluge Wahl zu treffen«, antwortete er schließlich. »Nach dem elften September fertigte er Flaggen für Leute in aller Welt an, und er bekam einen großen Auftrag von By-Smart. Er legte eine zweite Schicht ein, kaufte neue Maschinen.«
»Dann hat er die Arbeit verloren«, sagte einer der Männer. »Das wissen wir alle. Meine Alte, die ist auch entlassen worden. Warum verklebst du die Schlösser, wenn er seinen Vertrag verliert?«
»Das hat nichts damit zu tun. Als er den Vertrag verlor, war ich da nicht der Erste, der deiner Frau geholfen hat, sich arbeitslos zu melden? Hab ich nicht eine Wohnung für die Familie Valdez besorgt?«, fragte Andres anklagend.
Zustimmendes Gemurmel war zu vernehmen, ja, er hatte das alles getan. »Aber deshalb umso mehr die Frage, Roberto: Weshalb hast du das mit dem Kleber gemacht?« Andres blickte mir zum ersten Mal ins Gesicht. »Es ging um das, was ich Ihnen heute Nachmittag schon erzählt habe: Zamar hatte Hals über Kopf einen neuen Vertrag mit By-Smart unterzeichnet. Um ihn zu warnen - es tut mir leid, dass ich euch das gestehen muss, und ich schäme mich dessen -, habe ich den Kleber in die Türschlösser gespritzt. Ich wollte ihm zeigen, was passieren kann, wenn er dem Viertel hier schadet. Es war ein Kinderstreich, nein, ein ganz übler Streich, ich bedaure es nun auch, aber für mich wie für viele kommt die Reue zu spät, um etwas schon Geschehenes zu ändern.« Seine Stimme klang rau, und er hielt einen Moment inne, als müsse er eine bittere Pille schlucken. »Nach der Sache mit dem Kleber hat Zamar mir gedroht, hat gesagt, er bringt mich vor Gericht, aber wir haben uns unterhalten, und er hat mir versprochen, dass er noch einmal mit By-Smart verhandeln will - wie ich Ihnen schon gesagt habe.« Ich nickte, versuchte zu ergründen, inwieweit ich ihm glauben konnte. »Der Brandstifter hat bei seiner Tat darauf geachtet, dass die illegalen Einwanderer in der Nachtschicht nicht zu Schaden kamen.
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