Feuerflügel: Roman (German Edition)
Schatten konnte die Verärgerung und den Vorwurf in seiner Stimme hören.
„So ist es, Goth. Ich brauchte dich, um Schatten Silberflügel zu mir zu locken. Phönix fliegt jetzt hierher, um sein Leben zu fordern. Sie hat mir gute Dienste geleistet.“
„Habe ich dir nicht ebenfalls gut gedient, Herr?“
„Das hast du in der Tat. Es war dein Plan, der mir die Idee zu meinem gegeben hat.“
„Aber nun soll Phönix in die Oberwelt zurückkehren.“
Die Köpfe von Zotz grinsten gleichzeitig und lachten durch spitze Zähne.
„Phönix kommt dir in jeder Hinsicht gleich – vielleicht ist sie noch unnachgiebiger. Sie wird dich zur Oberwelt begleiten. Solltest du nicht eine Gefährtin haben? Eine Möglichkeit zur Vermehrung, um die obere Welt wieder mit meinen Gefolgsleuten zu bevölkern?“
Goth neigte den Kopf. „Jetzt verstehe ich, Herr. Ich danke dir. Aber wie soll ich aufsteigen?“
Alle drei Köpfe wandten sich Schatten zu, als sie sprachen.
„Das Junge.“
„Nein!“, schrie Schatten. „Nimm mich!“
„Noch früh genug“, antwortete Zotz. „Dies war deine letzte Prüfung, Goth. Das Leben des Jungen gehört jetzt dir. Geh nun. Ich werde dir einen günstigen Wind verschaffen. Und eine Verkleidung.“
Während Schatten mit seinem Echo-Sehen zuschaute, begann Goth zu flimmern. Sein Körper schrumpelte, seine Flügel schrumpften, sein Gesicht fiel zusammen und begann, sich zu einem glatteren, kleineren Gesicht umzubilden. Noch ein paar Sekunden und Goth sah ganz genau so aus wie Schatten.
„Nein“, hauchte Schatten.
„Dein Sohn wird dich wiedersehen“, sagte Goth.
„Nimm mich an seiner Stelle!“, rief Schatten. Sein einziger Gedanke war, je länger Goth hier blieb, desto mehr Zeit hätte Greif, den BAUM zu erreichen und zu entkommen.
„Mach schon, Goth, wie kannst du dir diese Gelegenheit entgehen lassen? Hast du das nicht immer schon gewollt? Der kleine Knirps, der dich jedes Mal übertölpelt hat, du feiger Idiot! Dies ist deine Chance!“
Schatten sah, wie sein Spiegelbild zögerte, wie seine Flanken hungrig bebten.
„Nein“, erwiderte Goth. „Es wird mir noch mehr Vergnügen bereiten, dir größeren Schmerz zuzufügen.“ „Flieg los!“, befahl Zotz, und im Dach des Turms öffnete sich ein Loch und ließ den Glanz des Sternenlichts herein. Goth flog darauf zu. Schatten startete zur Verfolgung, aber einer der Köpfe des Zotz schoss auf ihn herab, schnappte zischend nach ihm, und er musste abrupt seitlich wegkippen, sodass er beinahe mitten in der Luft abrutschte. Während er kreiste, sah er, wie Goth, sein teuflisches Double, durch das Loch in der Decke verschwand. Dann schloss sich die Öffnung wieder.
Schluchzend torkelte Schatten im Glockenturm herum und suchte nach einem anderen Ausweg, einem Riss im Stein, einem verrotteten Brett.
Greif würde Goth für ihn, Schatten, halten. Er würde ihn kommen sehen und so glücklich sein und vielleicht würde er ihm entgegenfliegen. Und dann ... Schatten knurrte das Bild vor seinem inneren Auge an. Das war das Schlimmste, dass der letzte Augenblick im Leben seines Sohnes aus Verwirrung bestehen würde; er würde nicht verstehen können, warum der eigene Vater ihn verriet.
„Dein Sohn wird bald tot sein“, sagte ihm Zotz. Seine hageren Köpfe kamen drohend näher. „Und du auch. Das ist keine Tragödie. Der Tod ereilt alle Geschöpfe. Und alle Fledermäuse müssen in mein Reich kommen. Du und dein Sohn, ihr werdet euch wiedersehen.“
Die Worte wurden anscheinend ohne Bosheit gesprochen, und Schatten, dessen Fell im Gesicht von Tränen bedeckt war, fühlte unwillkürlich einen Anflug von Dankbarkeit für diese Vorstellung der Wiedervereinigung mit seinem Sohn. Irritiert starrte er den dreiköpfigen Cama Zotz an. Fast wäre ihm grausamer Spott lieber gewesen. Er verabscheute Mitleid von diesem Gott, der ihn eingeschlossen hatte und nun bei ihm darauf wartete, dass er ermordet wurde.
„Und was dann?“, fragte Schatten. Erschöpft hing er von einem Balken herab. „Wir werden in deinem Schacht versklavt sein, nehme ich an.“
„Dafür musst du die Tyrannei deines eigenen Gottes verantwortlich machen.“
„Nocturna?“, fragte er. Er war nicht so sehr über das erstaunt, was Zotz über sie gesagt hatte, als über die bloße Tatsache, dass er sie überhaupt erwähnt hatte. „Sie existiert wirklich?“
„Sie war mein Zwilling“, sagte Zotz. „Wir sollten gleichberechtigt herrschen, Nocturna über die Welt der Lebenden, ich
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