Feuerflügel: Roman (German Edition)
beginnen.“
„Wer hat euch das gesagt?“
„Die Pilgerboten. Sie fliegen über sämtliche Oasen mit ihrer Botschaft. Meistens werden sie von allen ignoriert – lange Zeit auch von mir. Aber es war diese letzte Pilgerin, die endlich zu mir durchkam. Ein Silberflügel übrigens. Frieda.“
Schatten musste schlucken. „Frieda? Frieda Silberflügel?“
„Du kennst sie?“
„Sie war meine Älteste in meiner Heimat, bevor sie gestorben ist. Wo finde ich sie?“
„Sie bereist die Unterwelt“, erläuterte Java, „fordert Fledermäuse auf, ihre Reise anzutreten, und gibt ihnen Karten zum BAUM. Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt aufhält.“
„Ist auch egal“, sagte Yorick. „Wir müssen los.“
„Die Reise ist nicht gerade, was man einen Spaziergang nennen könnte“, erklärte Nemo Schatten. „Da ist einmal die Reise selbst, sie ist lang, und das Gelände unter dir kann sich verändern, und dann musst du anhalten und auf weitere Pilger warten, um eine neue Karte zu bekommen. Und dann sind da auch die Schmerzen. Hast du erst einmal herausbekommen, dass du tot bist, beginnst du auch wieder Schmerz zu empfinden, was immer du da in der Oberwelt an Schmerzen hattest, nur schlimmer. Also musst du das auch mit dir herumschleppen. Und außerdem haben wir noch diese Kannibalenfledermäuse als Zugabe. Bis jetzt ist es uns gelungen, an ihnen vorbeizuschlüpfen. Aber wenn wir geschnappt werden, ist unsere Reise sofort zu Ende.“
Schatten schwieg. Er versuchte, diesen gewaltigen Berg neuer Informationen zu verdauen. Alle Toten hier unten. Silberflügel und Glanzflügel und Vampyrum alle zusammengewürfelt. Eine Reise zu einem BAUM, der die Toten in eine neue Welt bringen sollte. Aber würde sein Sohn denn über diesen BAUM Bescheid wissen? Würde Greif dann auch selbstverständlich zu ihm hinfliegen – und war das überhaupt richtig für die Lebenden? Vielleicht war der BAUM ja nur für die Toten gedacht.
Er sehnte sich nach einem Gespräch mit Frieda; sie wäre in der Lage, ihm zu helfen. Aber Wünsche zu haben nützte nichts. Er brauchte einen Plan, etwas, was ihm ein Ziel gab. Sekunden flogen vorbei.
„Ich weiß nicht, wo ich mit meiner Suche beginnen soll“, gab Schatten zu.
„Vielleicht möchtest du ein Stück mit uns reisen“, bot Java freundlich an.
Yoricks Ohren flogen ihm fast vom Kopf. „Aber ehrlich, Java, all die Jahre nur Obst essen hat dein Gehirn weich gemacht! Hat mir denn niemand zugehört? Er wird auf jede erdenkliche Weise Aufmerksamkeit auf uns lenken, Aufmerksamkeit von der gefährlichsten Sorte! Er wird Fledermäuse neugierig machen, er wird sie wütend machen. Er wird reden, und Gerede macht die Runde! Und wir wollen nicht vergessen, du kannst ihn aus hundert Flügelschlägen Entfernung kommen sehen! Die Kannibalen werden uns in Sekundenschnelle erwischt haben!“
„Ich könnte euch aber auch nützlich sein“, meinte Schatten.
Yorick schnaubte verächtlich.
„Ich schlage vor, lasst ihn mitkommen, wenn er will“, sagte Java bestimmt.
„Dies ist meine Reise“, entgegnete Yorick kühl. „Ich habe die Karte, ich zeige den Weg. Ich bin seit fünfhundert Jahren hier unten, und ich werde nicht das Risiko eingehen, geschnappt zu werden, nur wegen eines Fremden, der eine tragische Geschichte zu erzählen hat!“
„Nemo, was denkst du?“, fragte Java.
„Mir ist er willkommen“, sagte Nemo und nickte Schatten zu.
„Das wär’s dann, ich fliege solo“, polterte Yorick.
„In Ordnung“, sagte Java feierlich. „Wenn du musst, dann musst du.“
„Ich brauche euch alle nicht, um mich langsamer zu machen.“
„Guten Flug, alter Knabe“, sagte Nemo liebevoll. „Mögest du günstige Winde haben.“
Yorick blickte aufsässig von Nemo zu Java und dann durch die Höhlenöffnung hinaus. Er flatterte nervös mit seinen kaputten Flügeln.
„Wenn er mitkommt“, sagte er streng, „tut er, was ich sage, er hält den Mund fest geschlossen und er fliegt nahe an deiner Seite, Java. Wenn wir etwas kommen sehen, wickelst du ihn dicht ein, damit er nicht wie ein Leuchtfeuer ist.“
Schatten lächelte. „Klingt fair“, sagte er.
„Unser Weg führt uns bald über eine Oase“, sagte Yorick etwas freundlicher zu Schatten. „Vielleicht hat dort jemand deinen Sohn gesehen.“
„Danke“, sagte Schatten. Seine Flügel zuckten ungeduldig. Eine Oase von hunderten. Wie groß waren seine Chancen? Es war die größte, die er im Augenblick hatte.
„Gut, gut“, murmelte Yorick,
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