Feuerflügel: Roman (German Edition)
es also geschafft. Ihr Pfad war geschmolzen, aber das war jetzt egal. Der Kaktus würde ihnen ihren neuen Kurs vorgeben. Er blickte hoch und entdeckte das runde Loch in der Mitte des Astes.
„Siehst du das?“, fragte er Luna. „Da schauen wir durch, und das ist unser neuer Kurs.“
Er würde das später tun, im Augenblick war er zu müde, um sich zu bewegen.
„Bist du nicht k. o.?“, fragte er Luna.
„Ich weiß nicht“, antwortete sie gedankenverloren. „Ich fühle mich eigentlich nicht anders als vorher.“
„Nun, ich bin vollkommen erledigt. Ich finde das alles sehr beunruhigend. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Fledermäuse hier unten leben können, langfristig. Ich könnte es nicht. Ich bin erst eine Nacht oder so hier unten, und ich bin schon ein nervöses Wrack.“
„Du bist immer ein nervöses Wrack“, meinte Luna.
„Stimmt“, sagte Greif lachend. „Stimmt genau.“ Er fühlte sich jetzt besser und gähnte so ausgiebig, dass jeder Zentimeter seines Körpers gestreckt wurde.
„Warum gönnst du dir nicht ein wenig Schlaf?“, schlug Luna vor. „Wir fliegen nirgendwo hin, bevor sich dies nicht beruhigt hat.“
„Macht dir das nichts aus?“ Greif konnte sich nichts anderes vorstellen, was er sich im Augenblick sehnlicher wünschte. „Aber sollte nicht jemand ...“
„Ich werde Wache halten“, versprach Luna. „Nur für den Fall, dass der Schlamm ansteigt oder der Baum kippt.“
„Oder wenn du irgendetwas kommen siehst“, fügte er hinzu, als er sich an die Vampyrum erinnerte.
„Ich wecke dich sofort auf.“
„Danke“, sagte er erleichtert.
„Nur noch eine Sache ...“
„Was?“
„Würdest du mir bitte erzählen“, sagte Luna, „über Zuhause und alles?“
„Natürlich.“
Er war froh über diese Bitte. Er wollte an ihr Zuhause denken, es beschreiben und mit Worten lebendig ausmalen – als rückte es dadurch wieder in erreichbare Nähe.
Sie hingen am obersten Ast des Kaktus, weit entfernt vom zischenden und brodelnden Untergrund, und schoben sich näher aneinander. Lunas Körper war kalt und das beunruhigte ihn immer noch, trotzdem war ihre Nähe tröstlich. Es machte ihn so froh, dass er sie bei sich hatte.
Er begann mit dem Baumhort selbst, dem ersten Ort auf der Welt, an den er sich erinnerte, und beschrieb ihn so genau, wie er konnte. Dann den Wald draußen, die verschiedenen Bäume, den Bach, den Zuckerahorn, den er so liebte. Er erzählte ihr von den anderen Jungtieren, Rowan, Skye, Falstaff, und wie schön es war, am Ende der Nacht zum Baumhort zurückzukehren, wo sie alle zusammen ruhen würden.
„Ich sehe sie“, sagte Luna plötzlich.
Ihre Stimme ließ ihn zusammenzucken, sie hatte so lange nichts mehr gesagt.
„Meine Mutter“, erklärte Luna. „Ich erinnere mich an sie.“ Leise begann sie zu weinen. „Ich habe sie gesehen, ich habe sie wirklich gesehen. Oh, Greif. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, Sehen oder Nicht-Sehen.“
Er blickte ihr in die Augen, war wie gelähmt von dem Kummer darin, und wusste nicht, was er sagen sollte. Sie schluchzte, aber sie vergoss keine Tränen.
„Mach weiter“, sagte sie heiser. „Erzähl weiter.“ „Bist du sicher?“, fragte er.
„Ich glaube schon. Ich habe es vorher nicht richtig geglaubt“, sagte sie, „dass ich tot bin. Es wirkte einfach nicht so, als könne es wahr sein. Aber als ich meine Mutter gesehen habe, als ich mich erinnert habe, da wusste ich, dass es wahr ist. Jetzt weiß ich es wirklich. Aber hör bitte nicht auf.“
Zögernd fuhr er fort. Ihr Weinen beruhigte sich zu einer Art Zittern, und er spürte, wie ihm ihr Schmerz durch sein eigenes Fell und Fleisch übermittelt wurde, und ab und zu weinte er auch. Er verlor die Empfindung dafür, wie lange er geredet hatte. Es gab ihm ein Gefühl der Sicherheit, das ganze Reden. Als ob er mit all diesen Worten die Dinge unter Kontrolle brachte, sie in Ordnung brachte.
Er blickte zu Luna hin, aber sie hatte das Gesicht von ihm abgewandt, daher war schwer zu erkennen, ob sie überhaupt wach war. Manchmal machte er eine Pause und nach einer Sekunde sagte sie dann: „Ich höre dir zu.“ Und so redete er weiter, während um sie herum die Erde zischte und kochte.
Schließlich war er so erschöpft, dass ihm nichts mehr einfiel, was er sagen könnte, und er schlief ein.
–15–
Der Angriff
„Wir nähern uns der Oase“, sagte Yorick offenbar erleichtert. „Auf dem richtigen Weg.“
Schatten sah, wie in der Ferne das Ödland
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