Feuerflügel: Roman (German Edition)
umso stärker, um das Jungtier zu fangen und dir zu opfern, Herr.“
„Ich frage mich, ob dein Verlangen nach Leben dir wichtiger ist, als ich es bin.“
„Nein, Herr!“, antwortete Goth. Er schrie, um seine Schuld zu verbergen. Konnte Zotz wissen, dass er, bevor Schatten aufgetaucht war, geplant hatte, sich selbst das Leben des Jungen zu stehlen? „Ich hatte das Jungtier schon beinahe, aber sein Vater hat ihn gerufen. Ich wusste, wenn ich den Sohn angriff, würde ich auch mit dem Vater kämpfen müssen. Daher habe ich beschlossen, erst Schatten zu töten.“
Ein langes Schweigen senkte sich über die Wüste, aber Goth spürte die Gegenwart von Zotz überall, wie er ihn prüfte, ihn mit unsichtbaren Augen durchbohrte. Konnte Zotz von seiner Versuchung in der Höhle wissen? Er bemühte sich, ruhig zu atmen.
„Folge dem Fluss zu den Hörnern“, sagte Zotz. Seine Stimme wirbelte um Goth herum wie ein Tornado. „Fliege zwischen den Spitzen hindurch. Das Junge zieht mit einer Gruppe von Pilgern. Sie werden bald beim BAUM sein.“
„Und Schatten Silberflügel?“
„Er geht dich nichts an, Goth. Zuerst das Jungtier.“ „Ja, Herr.“
„Enttäusche mich nicht ein drittes Mal.“
Bei den steinernen Hörnern zögerte Greif. Unten grub der Fluss seine gespenstische flüssige Bahn durch die Unterwelt. Greif blickte zum Horizont. Er hoffte noch.
„Ruf nach deinem Vater“, schlug ihm Java vor. „Lass eine Spur zurück. Ist er am Leben, wird er deine Echos hören, wenn er vorbeikommt.“
„Papi!“, schrie Greif mit aller Kraft. „Ich bin es, Greif!“
Er sah, wie Yorick zurückzuckte wegen all des Lärms und sich missmutig umschaute.
„Wir ziehen zum BAUM!“
Die Kehle tat ihm weh, und er verfügte über keine Worte mehr. Wie lange würden seine Echos hier unten weiterleben, bevor die Unterwelt sie aufsog? Wie sie alles andere aufsog einschließlich seines Lebens?
Er dachte an diese schrecklichen versteinerten Fledermäuse in der Höhle, stellte sich den Schlag vor, den sie jemandem versetzten, wenn sie ihn trafen. Er presste die Augen zusammen, schüttelte heftig den Kopf und versuchte, das Bild seines Vaters abzuschütteln, wie er bewusstlos für immer diesen Fluss hinabtrieb.
„Wo fließt er hin?“, fragte er, aber niemand wusste das.
„Das ist ein Fluss, von dem ich mich gerne trennen werde“, sagte Nemo schaudernd. „Gewässer haben eine eigene Art, dir etwas zuzuflüstern, und dieses hat nichts Gutes zu sagen.“
Greif hatte inzwischen die Namen der Pilger erfahren und fühlte sich am meisten zu Java hingezogen. Es war schwierig, nicht von diesen großen, gefühlvollen Augen eingenommen zu werden, von ihrem ausdrucksvollen Gesicht und ihrer sanften Stimme. Wenn er Fragen hatte, war sie es, an die er sich wandte. Er blieb in ihrer Nähe.
Yorick dagegen wirkte missmutig und Nemo besaß diese Krallen, die ihm sehr beunruhigend vorkamen, obwohl Greif seine Augen mochte und die freundliche Art, in der er ihm zublinzelte. Von Smog hielt er sich fern. Schon sein Anblick bewirkte, dass sich ihm der Magen umdrehte.
„Bist du bereit, Greif?“, fragte Java und sah ihn freundlich an. „Zum BAUM?“
Er nickte. Mit Luna an einer Flügelspitze folgte er Yorick zwischen den Spitzen der Hörner hindurch.
„Dein Papi wird dich finden“, sagte ihm Luna ruhig. Greif versuchte ein Lächeln, aber Mund und Gesicht fühlten sich angespannt an, als könnte seine Haut wie splitterndes Eis jederzeit reißen. Er blickte über den Flügel zurück, öffnete schon den Mund, um Klang auszuschicken und nach seinem Vater Ausschau zu halten, hielt sich aber zurück – er konnte nicht noch einmal die Enttäuschung ertragen.
Sein Hunger war inzwischen verflogen. Überwiegend war er froh darüber, aber er konnte auch nicht umhin, sich besorgt zu fragen, ob dies nicht ein unheilvolles Zeichen sei, als hätte sein Körper begonnen, ihn aufzugeben. Sein Durst ließ sich nicht so leicht überwinden. Überall sah er Wasser, kleine Oasen, die im harten Fels funkelten, die am trockenen Horizont schimmerten. Er hatte auch lange nicht mehr gepinkelt. Das war ein schlechtes Zeichen, da war er sich sicher.
Während er sich durch die Luft quälte, fragte er sich, wie etwas, was einst so mühelos schien, so leicht wie das Atmen, nun eine solche Tortur sein konnte. Zu Hause, dachte er, ich möchte zu Hause sein.
„Es tut mir Leid“, sagte er, als er den Schmerz nicht länger ertragen konnte, der durch seinen erschöpften
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