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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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in ihre Alpträume zurücksank, zu dem Kontrapunkt des Geräuschs, das menschliches Leben symbolisiert: dem Schlagen eines Herzens.
    Und sie hatte gehofft, es nie wieder hören zu müssen.
    Pastellfarbenes Licht war Laeneas erste Gewißheit, daß sie leben würde. Aber diese Gewißheit beruhigte sie nicht. Die Intensivstation war steril-weiß gewesen, voller starker Gerüche, doch in diesem Privatzimmer herrschten freundliche grüne und gelbe Farbtöne vor. Die Wirkung des Sedativs ließ nach, und sie wußte, daß man ihr erlaubt hatte, aufzuwachen. Sie kämpfte nicht gegen die fortdauernde Schläfrigkeit an, aber ein Gefühl der Niedergeschlagenheit verhinderte auch, daß sie sich auf das Wiedererwachen ihrer Sinne freuen konnte. Sie hatte nur den Wunsch, in ihrem eigenen Gehirn zu leben, ihren Körper zu vergessen, und ihr Versagen. Sie wußte nicht einmal, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollte; aber vielleicht hatte sie gar keine mehr.
    Doch die Welt drang auf sie ein, als sie gelangweilt wurde von dem Stilliegen und von ihrem Selbstmitleid. Sie hatte es noch nie ertragen können, nichts zu tun. Starrköpfig hielt sie die Augen geschlossen, aber sie konnte es nicht verhindern, daß sie Geräusche wahrnahm, Vibrationen, die durch ihren Körper rannen wie ein Schüttelfrost.
    Dies war meine Chance, dachte sie. Aber ich wußte, daß ich versagen könnte. Es hätte schlimmer ausgehen können – oder besser: Ich hätte sterben können.
    Sie strich mit der Hand über ihren Körper, vom Magen zu den Rippen, über die Pflaster und Binden, an den oberen Rand der frischen Narbe zwischen ihren Brüsten. Ihre Finger tasteten über ihren Hals und blieben dicht unter ihrem Kiefer liegen, genau über der Halsschlagader.
    Sie konnte keinen Puls fühlen.
    Laenea richtete sich abrupt auf und ignorierte den scharfen Schmerz, der durch ihren Körper schoß. Die Vibrationen eines Herzschlags waren noch immer zu spüren, aber sie wußte jetzt, daß er nicht aus ihrem Körper kam.
    Der Verstärker stand auf dem Nachttisch und sandte langsame, regelmäßige Niederfrequenztöne aus. Laenea fühlte einen Lachreiz in ihre Kehle steigen. Sie wußte, daß es schmerzen würde, aber es war ihr egal. Sie nahm den Lautsprecher in die Hand. So ein kleines Ding also hatte ihr so große Sorgen gemacht. Die Schnur riß ab, als sie ihn quer durch das Zimmer schleuderte, und er zerschellte krachend an der Wand.
    Sie warf die steifen, gestärkten Laken zur Seite. Sie stand auf, taumelte, gewann ihr Gleichgewicht wieder. Ihr Atem rasselte von der Flüssigkeit, die sich in ihrer Lunge angesammelt hatte. Sie hustete, rang nach Luft und hustete wieder. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren, nur noch die Schwäche war da: Sie dachte, die Ärzte sind Narren, daß sie den Schlaf in ihren Körper zwangen, mit dem Risiko einer Lungenentzündung, ihr einen automatischen Herzschlag vorspielten, anstatt sie aufwachen und sich an ihren neuen Zustand gewöhnen zu lassen.
    Sie spürte die Kälte der Kacheln unter ihren Fußsohlen, schritt langsam zu dem warmen Streifen Sonnenlicht hinüber, ein helles Gelb auf dem cremefarbenen Boden, und blickte aus dem Fenster. Der Tag war wechselhaft: grau und golden. Wolken zogen vom Westen her über die Berge und den Sund, während die Stadt noch immer im Sonnenlicht lag. Die Schatten der Wolken schoben sich über das Wasser und verwandelten sein Silber in dunkles Schiefergrau.
    Die Olympic Mountains – noch weiß von den starken Schneefällen des Winters – lagen zwischen ihr und dem Hafen. Die heranziehende Regenfront verdeckte sogar die Kondensstreifen der Raumschiffe, die die Erde verließen, und das helle Glitzern von Shuttles, die ihre Ziele im Sund anflogen. Aber bald würde sie das alles wieder sehen können. Sie lachte laut, stemmte sich gegen den Schmerz in ihrer Brust und in ihren Rippen und warf ihr zerzaustes, welliges Haar zurück. Es kitzelte ihren Nacken und den Rücken, in dem schmalen Spalt, den das hinten geschnürte Krankenhaushemd frei ließ.
    Luftzug traf sie, als die Tür geöffnet wurde. Laenea wandte sich um und blickte die Ärztin an, eine kleine, zerbrechlich wirkende Frau, die jedoch die Kraft eines Drahtseils besaß. Sie blickte auf die Trümmer des Lautsprechers und schüttelte mißbilligend den Kopf.
    „War das nötig?“
    „Ja“, sagte Laenea, „für meinen Seelenfrieden.“
    „Es war für Ihren Seelenfrieden da.“
    „Es hatte die entgegengesetzte Wirkung.“
    „Ich werde das in

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