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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Leute getan hast, dann würdest du es sehen. Oder verlasse dein Gefängnis und sieh dich um.“
    „Ich verlasse den Tempelbezirk niemals.“
    Das Jungwesen schloß resigniert die Augen. „Dann sitze eben da und warte, bis auch die Auroras sterben.“ Es ließ den Wächter stehen, und im Weggehen schleiften die Spitzen seiner wunderschönen Flügel durch den Staub.
    Der Wächter hätte das Jungwesen gern als verrückt abgetan, doch so einfach waren die Dinge niemals. Es stimmte schon, daß ihrem Volk mehr am Himmel und den nahen Sternen gelegen hatte als an der Welt, auf der es lebte. Das war nur natürlich für ein Volk, das so hoch am Himmel dahinjagen konnte, daß man die Krümmung des Bodens sehen konnte und seine Winzigkeit, seine Bedeutungslosigkeit schutzlos zutage trat. Nur natürlich für ein Volk, dessen Kinder schon aus Instinkt geflügelte Spielzeuggleiter bauten. Die Sterne waren so nah, sie hingen rufend, hypnotisierend am Himmel. In ihrem Ionenschiff waren der Wächter und seine Gefährtin durch die Bucht zwischen der Welt und ihrem Mond gesegelt, und sie hatten nur mit ihren Augen und ihrem Gefühl navigiert. Und in seinen Visionen hatte er die Ionenschiffe gesehen, als sie noch nicht mehr waren als eine Traumidee. Bevor das erste von ihnen noch fertiggestellt war, hatte er sie schon zu Tausenden gesehen; das ganze Volk fand auf ihnen Platz, sie breiteten ihre großen Segel aus, um die Sonnenstrahlen darin einzufangen, und setzten sich langsam, sehr langsam, in Bewegung, hin zu einem Stern, von dem die Passagiere bereits wußten, daß er Planeten besaß, die sie würden berühren und wieder verlassen können.
    Sein Volk hatte viel über die Sterne gewußt. Aber er konnte nicht sagen, daß die Welt nicht starb.
    Nach einer Weile erhob er sich langsam und suchte das Jungwesen. „Was wollt Ihr tun?“
    Es bückte sich und hob einen kleinen Stein auf. „Was kann man noch tun? Ich wünschte fast, du hättest mich sterben lassen.“ Es hob den Stein, als wollte es ihn in die Auroras schleudern. Der Wächter fuhr zurück und sah, wie es zögerte. Er dachte immer noch, es würde werfen, aber das Jungwesen ließ die Hand sinken und warf den Stein zu Boden. „Und wenn ich wüßte, was zu tun ist, würde ich es nicht tun.“
    „Es sind immer noch Leute da …“
    „Ebensogut können wir beiden auch die letzten sein. Vielleicht haben alle andern sich umgebracht. Lieber wäre ich einsam, als dem Rest Zuflucht zu gewähren.“
    „Müssen wir denn beide einsam sein?“
    Das Jungwesen kehrte ihm den Rücken zu und zog die Schultern hoch. Der Wächter glaubte, er hätte es durch seine Andeutung verletzt. „Ich wollte damit nichts Unschickliches sagen …“
    „Traditionen sind so tot wie der Gott in deinem Tempel.“ Es zuckte mit den Flügeln. „Du würdest wollen, daß ich bleibe.“
    „Ich würde um nichts bitten.“
    „Aber du würdest hoffen.“
    „Seine Träume hat man nicht in der Hand.“
    „Ich werde eine Weile bleiben.“
     
    Später schlief der Wächter, allein in der engen, bedrückenden Finsternis des Tempels. Er erwartete eine Vision des Jungwesens, allein in einer Zukunft, in der es den Wächter nicht mehr gab. Niemals hatte er in seinen Prophezeiungen ein Stück seines eigenen Geschickes gesehen; deshalb empfand er eine seltsame Angst, daß niemand würde bei ihm bleiben können. Er glaubte nicht, daß er die Zukunft beeinflussen konnte. Vielleicht mußte die Zukunft ihn beeinflussen.
    Er sah seine Welt, zum ersten Mal, seit er in den Tempel gekommen war, und er sah, daß das Jungwesen recht gehabt hatte. Kaninchenskelette lagen über die Jagdgründe verstreut, und die Ranken, die an den Felsentürmen emporkletterten, schrumpften zusammen und starben. Sogar die Dornenbüsche, die dort wuchsen, wo sonst nichts mehr lebte, vertrockneten, zerfielen und verbrannten. Ihre Welt würde einen langsamen Tod sterben, aber sie starb, und die Orte, die er sah, waren verlassen. Er hätte es nicht mit Sicherheit sagen können, aber er glaubte, daß er zuerst sterben würde. Noch niemals zuvor hatten seine Visionen ihn in Angst versetzt, aber jetzt wachte er schreiend auf.
    Weiche Schwingen raschelten neben ihm. „Hast du geträumt?“
    „Ich habe getan, wie ihr verlangtet“, flüsterte der Wächter; ganz regungslos lag er da.
    „Und ich hatte recht.“
    „Ja.“
    „Lebt noch irgend jemand?“ Die junge Stimme in der Dunkelheit war voller Erregung.
    „Ich habe niemanden gesehen“, antwortete

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