Feuerflut
du einen verloren?“
„Nein. Wie durch ein Wunder nicht.“
„Auch wir waren mal neu. Gryf ist der einzige, den ich kenne, der als Neuling so gut wie keinen dummen Fehler gemacht hat.“
„War ich wirklich so grün?“
Sie wollte seine Gefühle nicht verletzen und schwieg.
„Ich war es, nicht?“
„Jason … Es tut mir leid, aber du warst der Grünste, der mir je untergekommen ist. Ich habe nicht geglaubt, daß du eine Chance hättest. Nur Gryf tat das.“
„Ich erinnere mich kaum noch an meine erste Woche. Nur noch, wieviel Zeit er darauf verschwendete, mir zu helfen.“
„Ich weiß“, sagte Kylis. Jason hatte sehr viel Hilfe gebraucht. Kylis hatte ihm verziehen, daß er der erste war, der ihr das Gefühl der Einsamkeit gegeben hatte, doch sie kam nicht darüber hinweg.
„Ihr Götter – diese letzte Woche“, stöhnte Jason. „Ich wußte nicht, wie schlimm es ist, allein zu sein.“ Dann lächelte er. „Ich hielt mich immer für einen Einzelgänger.“ Wo Kylis verärgert war über ihre entdeckte Achillesferse, war Jason amüsiert und interessiert an der seinen. „Was hast du gemacht, bevor Gryf kam?“
„Bevor Gryf kam, wußte ich nicht, daß man etwas versäumt, wenn man allein ist“, entgegnete sie brüsk. „Du schläfst jetzt besser.“
Er lachte. „Du hast recht. Guten Morgen!“ Dann schlief er rasch ein. Entspannt wirkten seine Züge noch erschöpfter. Sein Haar war lang genug, um es zurückzubinden, doch der Knoten in seinem Nacken hatte sich gelöst, und die schmutzigen Locken kringelten sich um sein Gesicht. Jason haßte es, schmutzig zu sein, aber die Arbeit mit dem Bohrer ließ wenig Zeit für Extras wie Baden. Er würde sich niemals so in Brückenkopf einfügen, wie Gryf und Kylis es taten. An seinem ersten Tag hatte Gryf ihn zweimal davor bewahrt, getötet oder verkrüppelt zu werden. Kylis hatte in derselben Schicht gearbeitet, jedoch in einer anderen Gruppe, sie führte einen der Bulldozer, die halfen, den Wald zu roden. Der Bohrer konnte nicht unter den gigantischen Farnen aufgestellt werden, da der Untergrund nicht standhielt. Unter einer dünnen Humusschicht befand sich Ton, der so viel Feuchtigkeit enthielt, daß er unter Druck eine semiliquide Konsistenz annahm, fast wie Treibsand. Daher mußten die verschiedenen Gruppen den Wald roden und die vulkanische Asche und die Tonschichten abtragen, bis solider Fels zum Vorschein kam. Kylis entfernte mit dem Bulldozer weit mehr Vegetation, als für die Errichtung der Kraftwerke nötig gewesen wäre, doch sie mußte zusätzlich Platz schaffen für die abgetragene Erde, die am Rande der Grube aufgeschichtet wurde. Mitunter kam es auch zu einem Einsturz der Hänge des Bohrlochs.
Am Ende des Tages von Jasons Ankunft fuhr Kylis den Bulldozer zurück zum alten Ende der Grube, wo die Tankstellen lagen, als die Sirene ertönte. Gryf erwartete sie dort, und ein großer, blonder Mann, der ausgepumpt auf dem Boden saß, den Kopf zwischen den Knien, die Arme schlaff hinabbaumeln lassend, befand sich bei ihm. Kylis nahm keine Notiz von ihm. Sie nahm Gryfs Hand, um mit ihm zu den Zelten zu gehen, doch dieser hielt sie zurück und half dem anderen auf die Beine. Der neue Gefangene bot ein einziges Bild totaler Erschöpfung; im Dämmerlicht sah sein Gesicht totenbleich aus. Kaum jemand auf Rotsonne war so hellhäutig, auch im Norden nicht. Kylis vermutete, daß er von einer anderen Welt stammte, doch er hatte keine Schultertätowierung, und sie vertraute ihm nicht. Gryf trug den großen Mann nahezu, deshalb ging sie auf die andere Seite und half, ihn zu stützen. Gemeinsam brachten sie ihn zu ihrem Zelt. Er aß und trank nichts, redete auch nicht; kaum im Zelt angekommen, fiel er auf das harte Lager und schlief sofort ein. Gryf betrachtete ihn mit betrübter Miene.
„Wer ist das?“ Sie verbarg die Geringschätzung in ihrer Stimme nicht. Gryf sagte ihr den Namen des Mannes, der sehr lang war und eine Menge doppelter Vokale enthielt. Sie erinnerte sich nicht mehr daran. „Er sagte, wir sollen ihn Jason nennen.“
„Kennst du ihn von früher?“ Sie war bereit, Gryf bei der Rettung eines alten Freundes zu helfen, wenn sie auch nicht wußte, wie sie es anstellen sollte. Schon am ersten Tag hatte er sich völlig verausgabt.
„Nein“, sagte Gryf. „Aber ich habe seine Werke gelesen. Ich hätte nie geglaubt, daß ich ihn eines Tages persönlich kennenlernen würde.“
Die unverhüllte Verzweiflung in Gryfs Stimme schmerzte Kylis nicht
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