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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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deshalb, weil sie eifersüchtig gewesen wäre, sondern weil es sie daran erinnerte, wie begrenzt ihr eigenes Wissen war. Das Entzücken, das Kylis bei Raumhafen-Basaren in den Gesichtern von Betrunkenen und Kindern gesehen hatte, war nichts im Vergleich zu Gryfs Gefühlen für das Talent dieses Mannes.
    „Ist er hier wegen seiner Bücher?“
    „Nein, zum Glück nicht – sie wissen nicht, wer er ist. Sie denken, er ist ein Durchreisender. Er reist unter einem anderen Namen, nicht unter seinem Familiennamen. Sie lassen ihn den Preis seiner Heimfahrt abarbeiten.“
    „Wie lange?“
    „Sechs Wochen.“
    „Oh, Gryf.“
    „Er muß leben und zurückkehren.“
    „Wenn er so wichtig ist, warum hat ihn dann niemand freigekauft?“
    „Seine Familie weiß nicht, wo er sich befindet. Sie muß heimlich benachrichtigt werden. Wenn die Regierung herausfindet, wer er ist, läßt man ihn nie mehr hier raus. Seine Bücher kursieren im Untergrund und werden hier eingeschmuggelt.“
    Kylis schüttelte den Kopf.
    „Er hat mein Leben beeinflußt, Kylis. Durch ihn habe ich die Idee der Freiheit und die Verantwortung des einzelnen verstanden. Dinge, die du dein Leben lang durch eigene Erfahrungen kennst.“
    „Du meinst, wenn er nicht wäre, dann wärst du nicht hier?“
    „So habe ich das noch nie gesehen, aber ich glaube, du hast recht.“
    „Schau ihn dir an, Gryf. Dieser Ort hier wird ihn vernichten.“
    Gryf starrte düster auf Jason, der so fest schlief, daß man ihn kaum atmen sah. „Er sollte nicht hier sein. Er ist kein Mensch, dem man weh tun sollte.“
    „Sollte man uns denn weh tun?“
    „Er ist anders.“
    Kylis sagte nicht, daß man ihn sehr wohl verletzen würde, hier im Lager Brückenkopf. Gryf wußte das gut genug.
    Jason war gequält worden, und das hatte ihn verändert. Was Gryf so an seinem Werk beeindruckt hatte, war ein unschuldiger Idealismus, der in Gefangenschaft nicht existierte. Kylis hatte gefürchtet, er würde das Gefängnis mit dieser Einstellung bekämpfen; sie hatte sich oft gefragt, was dann wohl aus Gryf werden würde. Doch Jason hatte überlebt, indem er einen Reifeprozeß durchgemacht hatte. Statt Brutalität zu entwickeln, hatte er sich seinen Humor erhalten. Kylis hatte nie ein Wort von ihm gelesen, doch je länger sie ihn kannte, desto mehr liebte und verehrte sie ihn.
    Nun ließ sie ihn unter den Farnen schlafen. Sie selbst hatte lange genug geschlafen und fühlte sich ausgeruht. Sie wußte aus Erfahrung, daß sie sich den Schlaf sorgfältig über den Tag hinweg einteilen mußte. In den zeitlosen Weiten des Alls, wo Kylis die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, war ihr normaler Lebensrhythmus dreiundzwanzig Stunden gewesen. Ein Standardtag von vierundzwanzig Stunden machte ihr nichts aus, doch Rotsonnes Siebenundzwanzig-Stunden-Rotation war ihr unbehaglich. Sie konnte es sich nicht leisten, zuwenig oder zuviel zu schlafen und unausgeruht zur Arbeit zu gehen. In Brückenkopf bedeutete Unaufmerksamkeit im besten Fall eine Bestrafung, im schlimmsten Fall den Tod. Sie war nicht müde, aber hungrig nach etwas anderem als den üblichen geschmacklosen Rationen. Rotsonnes Vegetation hatte sich wegen der geringen Mutationsrate nicht sehr weit entwickelt. Die Pflanzen waren nicht komplex genug, um Fruchtkörper zu bilden. Aber einige der Zweige und Wurzeln waren eßbar.
    Es gab keine Blumen auf Rotsonne.
    Kylis wagte sich tiefer in das Schattenreich des Regenwaldes vor. Abseits der künstlichen Lichtungen, die die Menschen geschaffen hatten, erreichten die primitiven Pflanzen eine beachtliche Höhe. Kylis wanderte in ihrem Schatten umher, ihre Füße sanken tief in den weichen, feuchten Humus ein. Ihre Fußabdrücke waren deutlich sichtbar. Sie wandte sich um und sah zurück. Nur ein paar Spuren waren hinter ihr, die größeren Abdrücke hatten sich bereits mit Wasser gefüllt.
    Sie wünschte sich, sie, Gryf und Jason wären in derselben Schicht. So wie es war, verbrachten sie den Großteil ihrer wertvollen Freizeit schlafend und waren bemüht, sich dem allgemeinen Zeitplan anzupassen. Wenn Gryf dann endlich seine Schicht beendete, hatten sie oftmals weniger als einen Tag, bis seine Schlafperiode begann. Manchmal glaubte Kylis, daß der freie Tag unter den restlichen vierzig eine größere Belastung für die Gefangenen darstellte, als wenn man sie hätte durcharbeiten lassen. Die viele Freizeit erlaubte ihnen, daran zu denken, wie sehr sie Brückenkopf haßten und wie unmöglich es war,

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