Feuerflut
blieb stehen.
Sie beobachtete ihn, dachte daran, wie angespannt und besorgt er bei dem Telefonat mit seinem Vater gewirkt hatte. Jetzt war nichts mehr davon zu merken. Hatte er das alles verdrängt? Wie lange konnte das gut gehen?
Jetzt aber war er in seinem Element, und darüber war sie froh – beinahe ebenso froh wie darüber, dass sie ihr Bein entlasten konnte. Ihre Erleichterung würde jedoch nicht lange anhalten, das wusste sie.
»Also, was können Sie mir über Fortescues Tagebuch berichten?«, fragte Gray Heisman, der unruhig hin und her lief.
Dr. Eric Heisman nickte heftig, ohne seine Wanderung zu unterbrechen. Es herrschte eine noch größere Unordnung als zuvor. Auf dem Tisch stapelten sich zahlreiche Dokumente und Bücher. Jemand hatte auf einem Rollwagen zwei weitere Lesegeräte hereingefahren. Heismans Kollegen fragten sich bestimmt schon, was hier vorging, zumal vor der Tür auch noch ein bewaffneter Wachposten Aufstellung genommen hatte. In Anbetracht der im Archiv unter Helium verwahrten kostbaren Dokumente war der Anblick eines Bewaffneten für sie vielleicht aber auch gar kein so ungewöhnlicher Anblick.
Heisman hatte in diesem Moment mehr Ähnlichkeit mit einem verrückten Wissenschaftler als mit einem Museumskurator. Sein Hemd war zerknittert, die Ärmel hatte er hochgekrempelt, das weiße Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Vor allem aber beruhte der Eindruck auf seinen geröteten, mit geplatzten Äderchen durchzogenen Augen, in denen ein fanatisches Feuer brannte.
Aber das kam vielleicht auch von den vielen leeren Starbucksbechern, mit denen der einzige Papierkorb des Raums vollgestopft war.
Wie lange war der Mann eigentlich schon auf den Beinen?
»Das ist wirklich erstaunlich«, sagte Heisman. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Wo haben Sie das her?«
Gray schüttelte den Kopf. »Ich bedaure, aber das unterliegt der Geheimhaltung, wie übrigens auch unsere Unterhaltung.«
Heisman winkte ab. »Ich weiß, ich weiß … Sharyn und ich haben die Schweigeverpflichtung bereits unterzeichnet.«
Seine Assistentin saß am anderen Tischende. Bei ihrem Eintreten hatte sie kein Wort gesagt. Sie hatte nur wortlos von den fotokopierten Dokumenten hochgeschaut und den Männern zugenickt. In der Zwischenzeit hatte sie ihr enges schwarzes Kleid gegen eine schicke Bluse und Freizeithose ausgetauscht.
Seichan musterte sie von der Seite, betrachtete ihre glatte Haut, ihr zart geschnittenes Gesicht, ihre dunklen Augen und ihr geglättetes schwarzes Haar. Abgesehen von ihrer hinreißenden Erscheinung hatte die Frau noch keinen Anlass gegeben, ihr zu misstrauen. Wieso arbeitete eine solche Schönheit als Assistentin des Kurators in einer Gruft mit lauter verstaubten Manuskripten? Diese Frau hätte auch auf einem Laufsteg in Mailand eine gute Figur gemacht.
Außerdem missfiel Seichan Grays Blick, der immer dann auf Sharyn verweilte, wenn sie auf dem Stuhl rutschte, eine Seite umblätterte oder sich eine Notiz machte.
»Wie wär’s, wenn Sie ganz am Anfang beginnen würden?«, kam Gray gleich zur Sache.
»Eine gute Idee«, meinte Heisman und zeigte auf einen Stuhl. »Nehmen Sie Platz. Das ist eine bemerkenswerte Geschichte, das sag ich Ihnen. Die schließt zahlreiche Lücken.«
Gray nahm Platz.
Heisman, der zu aufgeregt war, um still sitzen zu können, setzte seine Wanderung durchs Zimmer fort. »Das Tagebuch setzt zu der Zeit ein, als Franklin sich zum ersten Mal an Archard gewandt hat.«
Archard …?
Seichan verbiss sich ein Grinsen. Offenbar war Heisman mit dem Franzosen inzwischen per du.
»Es beginnt mit der Entdeckung eines indianischen Hügelgrabs in Kentucky.« Heisman warf Sharyn einen auffordernden Blick zu.
Sie hob nicht einmal den Kopf. »Gemeint ist das Schlangen-Hügelgrab.«
»Ja, sehr dramatisch. Im Hohlraum eines in Büffelfell eingeschlagenen Mastodonschädels hat man dort eine Landkarte aus Gold entdeckt. Dies war die Karte, die der tödlich verwundete Schamane Jefferson gegenüber erwähnt hat.«
Heisman fuhr fort und gestikulierte immer dann, wenn er etwas hervorheben wollte, was ziemlich häufig vorkam. »Dies war jedoch nicht das erste Mal, dass Jefferson und Franklin mit einem Schamanen der Ureinwohner zusammengetroffen sind. Häuptling Canasatego brachte zu dem Treffen mit Jefferson einen Schamanen eines Stammes aus dem fernen Westen mit. Offenbar hatte der alte Bursche den ganzen weiten Weg zurückgelegt, um sich mit den bleichhäutigen Häuptlingen zu treffen.
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