Feuerflut
auf seine Armbanduhr. Wenn Crowe die Wahrheit sagte, hatten sie bis sechs Uhr fünfzehn Zeit, die verlorene Stadt zu finden und das dort versteckte Material unschädlich zu machen.
»Schicken Sie mir, was Sie haben«, sagte Rafe und nannte ihm eine Mail-Adresse.
»Sie haben meine Nummer«, sagte Painter und unterbrach die Verbindung.
Rafael nahm das Handy vom Ohr und senkte nachdenklich den Kopf.
Soll ich Ihnen glauben, Monsieur Crowe? Sagen Sie die Wahrheit, oder lügen Sie mich an?
Der Direktor hatte sich nicht einmal nach seiner Nichte erkundigt. Das sprach dafür, dass er es aufrichtig meinte. Welchen Sinn hatten jetzt noch Verhandlungen, wenn die Existenz der Menschheit auf dem Spiel stand?
Als das Handy erneut läutete, schreckte Rafe zusammen. Er starrte das Gerät in seiner Hand an, dessen Signal verschlüsselt wurde. Doch das Läuten kam von woanders her. Sein persönliches Handy war allein der Kommunikation mit seiner Familie und einigen wenigen Mitgesellschaftern der Forschungseinrichtungen in den französischen Alpen vorbehalten. Die Nummer des Anrufers wurde jedoch nicht angezeigt. Das war merkwürdig. Das Handy wies Anrufer, die ihre Nummer unterdrückten, automatisch ab.
Eigentlich wollte er den Anruf ignorieren, doch er hielt das Handy nun schon mal in der Hand, und da er auf Crowes Daten wartete, kam ihm eine Ablenkung ganz gelegen.
Gereizt hielt Rafe sich das Handy ans Ohr. »Wer ist da?«
Der Anrufer sprach Amerikanisch, mit schwachem Südstaatenakzent, den Rafe nicht so recht einordnen konnte. Er nannte seinen Namen.
Rafes Gehstock fiel mit lautem Knall auf den Marmorboden. Er musste sich an der Anrichte festhalten. Ashanda erhob sich, um ihn zu stützen, doch er schüttelte nur den Kopf.
Der Anrufer sprach ruhig und deutlich, selbstbewusst, aber ohne drohenden Unterton. »Wir sind informiert. Sie werden in jeder Beziehung mit Sigma zusammenarbeiten. Die Katastrophe muss unter allen Umständen verhindert werden. Wir haben volles Vertrauen in Ihre Fähigkeiten.«
»Je vous en prie« , sagte Rafe atemlos, der unwillkürlich ins Französische wechselte.
»Wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, müssen alle Außenstehenden, die von der Entdeckung Kenntnis haben, vernichtet werden. Aber seien Sie gewarnt. Direktor Crowe wurde in der Vergangenheit wiederholt unterschätzt.«
Rafe warf einen Blick auf Kai. »Ich weiß schon, wie ich mit ihm fertigwerde, aber ich werde mich trotzdem in Acht nehmen.«
»Ich nehme an, darauf verstehen Sie sich mit Ihren spröden Knochen besonders gut.«
Was er als Beleidigung hätte auffassen können, wurde durch den belustigten Tonfall des Anrufers – der sich von den Ereignissen anscheinend nicht aus der Ruhe bringen ließ – als harmloser Scherz kenntlich gemacht.
»Adieu« , verabschiedete sich der Mann zuvorkommend auf Französisch. »Ich muss mich hier im Osten noch um ein paar andere Dinge kümmern.«
Mit einem Klicken brach die Verbindung ab.
Rafe wandte sich an TJ, der gerade die letzten Geräte verstaute. »Holen Sie mir Painter Crowe an den Apparat.« Zu Bernd sagte er: »Aufbruch in fünfzehn Minuten.«
»Wohin soll es gehen?«, fragte Bernd, nicht aus Neugier, sondern weil er sein Team entsprechend vorbereiten wollte.
»Zum Yellowstone Nationalpark.«
TJ meldete sich zu Wort. »Es klingelt, Sir.«
Rafe hob das Handy ans Ohr, bereit, auf Crowes Vorschlag einzugehen.
Er würde sich hüten, den Anweisungen zuwiderzuhandeln. Ihm wurde eine große Ehre zuteil, und das steigerte seine Entschlossenheit und wärmte ihn von innen her, fast bis in die Knochen. Er hatte als Erster seiner Familie mit einem Vertreter des Reinen Stammbaums gesprochen.
34
1. Juni, 4:34
Am Stadtrand von Nashville, Tennessee
BALD WÜRDE ES hell werden.
Gray war sich nicht sicher, ob das positiv zu werten war. Sie hatten Nashville gerade erst hinter sich gelassen, da sie über Nebenstraßen gefahren waren und das Tempolimit eingehalten hatten. Monk hatte den Wagen gesteuert, während Gray sich mit Painter Crowe besprach.
Da ein Auftrag erledigt war, hatte der Direktor ihm gleich den nächsten erteilt: Er sollte die historische Fährte weiterverfolgen und auf diese Weise das Gebiet eingrenzen, auf dem sie die Vierzehnte Kolonie vermuteten. Sie waren Archard Fortescues Weg nach Island und zurück gefolgt. Jetzt wollten sie versuchen, seine späteren Schritte zu rekonstruieren.
Das bedeutete, sie waren nicht die Einzigen, die ohne Schlaf auskommen mussten.
»Nächtliche
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