Feuerfrau
wenn wir uns in den Armen halten. In der Zwischenzeit leben wir nicht; da träumen wir.«
Martin stand da, übermäßig weit nach vorn gebeugt; seine Arme hingen an seinen Körper herunter.
»Mir ist es verdammt gleichgültig,« sagte er, »ob ihr wacht oder träumt.
Was ich nicht ertrage, ist deine Scheinheiligkeit. Du bist völlig verdorben, kriechst vor diesem Kerl auf den Knien. Mich behandelst du, als ob ich nur dazu da wäre, angespuckt zu werden. Aber warte nur, ich schlage ihn zusammen, wenn ich ihn noch mal antreffe. Dann wirst du sehen, wie er anfängt zu plärren, dieser Feigling, wenn ich ihm ein paar Zähne ausschlage…«
»Warum hast du die Chance nicht genutzt, als er vor dir stand?«
Plötzlich und unerwartet packte er mich beim Kinn. Sein süßlicher Atem streifte mich. Ich schaute ihm starr in die Augen. Mit der einen Hand hielt er mein Gesicht fest, mit der anderen schlug er so heftig zu, daß mir die Tränen kamen Sofort ließ er mich los, erschrocken über sich selbst.
»Verflucht!« flüsterte er, »verflucht, verflucht!« Einige Atemzüge lang standen wir uns gegenüber. Martins Gesicht war verzerrt, seine Brust hob und senkte sich ruckartig. Zu meinen Eigenarten gehört, vor physischer Gewalt nicht zurückzuschrecken. Viele Frauen ducken sich, anerkennen stillschweigend ihre Schwäche, nehmen lieber die Schmerzen hin, als von den üblichen Mustern abzuweichen. Es war das erste Mal in meinem Leben, daß ein Mann mich schlug. Es ging mir durch Mark und Bein. Ein weißglühender Blitz in mir, eine Explosion. Ich hob die Hand und versetzte ihm zwei schallende Ohrfeigen. Er taumelte zurück, fassungslos. An seiner Wange lief eine rote Schramme, dort, wo ihn Nonnas Ring verletzt hatte.
Ich hob meinen Rucksack auf, ging mit großen Schritten an ihm vorbei, aus dem Zimmer. Die Tür fiel hinter mir ins Schloß.
Der Mietwagen stand auf dem Parkplatz, den Schlüssel hatte ich bei mir. Ich schloß den Peugeot auf, warf meinen Rucksack auf den Hintersitz.
Dann ließ ich den Motor an und fuhr los. Die Nacht war stockfinster; der Mond ging gerade auf, von Nebeln umhüllt. Zu beiden Seiten der Straße zogen sich Wälder hin; nur vereinzelt kamen mir die Lichter eines anderen Wagens entgegen. Ich sah auf die Uhr. Gleich zehn. Die Zeit rann mir aus den Händen. Eine Sekunde lang wurde mir richtig schwindlig, aber es war gleich wieder vorbei. Wohin fuhr ich überhaupt? Nach Langada, sagte mir mein Verstand. Ich würde bei Stavros und Anghelina übernachten. Ob ich schlafen konnte, war eine andere Sache. Mir schien, daß ich heute nacht keinen Schlaf brauchte. Mein Geist war so ruhelos und wach; ich spürte etwas Seltsames in mir, wie Fieber. Eine Unruhe -
und mehr noch: das Gefühl, daß etwas begonnen hatte. Alles, was ich empfand, war durch diese Vorstellung unmittelbarer Erwartung bedingt.
Ich konnte nicht wissen, ob es mit der Zeremonie zu tun hatte; alles war so seltsam unvorhersehbar, und trotzdem gab es nichts mehr, was mich an diesem heutigen Abend verwundert hätte.
Selbst mein Schmerz, mein Zorn verblaßten vor diesem Gefühl. Ich hatte es schon früher gespürt, damals, in Montereale Celina, als Nonna mir die Hand reichte. Und ich, das kleine Mädchen, das ich damals war, hatte diesen Schritt getan, die Trennung überwunden, den Schmerz über den Schmerz hinaus in Ekstase verwandelt Nein, ich hatte keinen Trick, an jenem Septemberabend. Und hier im Herzen Griechenlands fühlte ich, wie dieses Gefühl erwachte, erneut von mir Besitz ergriff. Es war schon so, daß ich niemals auf Grund einer erregten Phantasie diese Dinge getan hatte, sondern daß ich ganz einfach… die Fähigkeit dazu hatte. Ich habe einen bestimmten Rhythmus in mir. Ich kann es nicht anders erklären: Jener Herzschlag, der die Trommel beseelt, pulsiert auch in meinem Blut.
Und Martin? Er würde mit dem Bus oder mit einem anderen Mietwagen kommen. Trampen konnte er auch. Es würde leicht für ihn sein, mich wiederzufinden. Er würde sich entschuldigen, charmant und liebenswürdig lächeln, neu anfangen wollen. Er würde nichts begriffen haben, unsere Trennung als kleinen Krach herunterspielen. Er war aufrichtig und naiv; ich war es nicht. Schon lange nicht mehr. Denn alles, was ich bei Amadeo gelernt hatte und als unwissendes Kind für wenig gehalten hatte, bewirkte, daß ich mehr wußte. Die unsichtbare Welt ist wie ein Spiegel: Wir formen sie mit unseren Worten und Taten und Gedanken. Ob sie gut oder böse ist, hängt
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