Feuerfrau
wie wir aufeinander zugehen, uns die Kleider vom Leib reißen? Wie wir uns lieben? Wir zerstören und zerschmettern uns wie Meteoriten; eine neue Besessenheit wird hervorgebracht aus dem Nichts. Wir hängen von übermächtigen Kräften ab, bei vollem Verstand, und sind nicht einmal verzweifelt deswegen.
Wir können niemals getrennt sein, Amadeo. Ich spüre, wie in deinem Geist sonderbare Dinge vorgehen, wie du dich mit mächtiger Anstrengung beherrscht. Manuel bringt Aufruhr in dein organisiertes Leben. Du kannst ihn nicht von oben herab behandeln, wie du es gerne möchtest. Denn auch Manuel berührt die Dinge, die im Dunkeln sind, und er berührt sie ohne Scheu. Für ihn sind diese Dinge schön. Er sieht die Welt der Erscheinungen, wie wir sie sehen. Und wird vielleicht besser damit fertig als wir.
Djali und Matteo hatten ihre Instrumente geholt und stimmten einige Akkorde. Sie wollten zum Fest. Sie tranken rasch, hoben die Hand zum Abschied und entfernten sich mit dem weichen Schlendergang der Andalusier. Jean schickte ihnen ein Grinsen nach.
»Die haben es aber mächtig eilig.«
»Gehst du nicht mit?« fragte ich ihn.
Er hob verächtlich die Schultern.
»Folklore kotzt mich an. Ich sehe mit ein paar Typen ins ›Zorro‹.«
Constantin saß zurückgelehnt und rauchte; jetzt beugte er sich zu Jean über den Tisch. Er furchte die Stirn, und seine Stimme klang barsch.
»Was hast du im ›Zorro‹ zu suchen, du Lackaffe? Man sollte dir ein paar hinter die Löffel geben! Ich weiß sehr wohl, was ihr da treibt! Warte nur, bis du in eine Razzia kommst, dann kannst du deine Filmrolle am lebenden Objekt studieren! Na, mein feiner, magerer Junge? Habe ich recht oder nicht?«
Jean schüttelte irritiert den Kopf.
»Onkel Constantin, du kannst mir nicht verbieten…«
»Du kannst meinen Hintern küssen, bis er wie ein Fuchs bellt!«
Constantins Atem pfiff.
»Unsere Feste sind keine Folklore, merke dir das! Sie sind Wasser für unseren Durst, Nahrung für unseren Hunger, Licht in unserem Dunkel. Sie machen, daß der Leitfaden nicht zerreißt. Sie sind lebendige Erinnerung!«
Jean schluckte.
»Ich wollte nur sagen…«
»Du sagst gar nichts«, schnitt ihm der alte Mann das Wort ab. »Ich rede!
Und ich bin noch nicht fertig.«
Jean rutschte unbehaglich hin und her. Der Baile verschränkte die Arme über der Brust, so daß seine mächtigen Schultermuskeln noch deutlicher hervortraten. Sein kupfern getöntes Gesicht zeigte plötzlich ein kräftiges Rot.
»Das einzige, was wirklich zählt, ist, daß wir zusammengehören. Du und ich und unsere Schwestern und Brüder, unsere Sippen, unsere Ahnen und unsere Enkel, hier und dort oder irgendwo. Das Risiko, das wir tragen, trägt jeder. Wer nicht mehr auf unseren Festen tanzt, landet bald mit der Nase im Dreck!«
»Onkel Constantin«, sagte Jean, »hör doch auf zu predigen. Ich bin schließlich dreiundzwanzig, und…«
Der Baile, der gerade einen Schluck trank, schaute auf und sah eben noch das geringschätzige Grinsen von Jeans Gesicht verschwinden. Er stieß ein Zischen aus und schlug mit der Faust so fest auf das Wachstuch, daß alle zusammenzuckten.
»Du hast keine Manieren! Scher dich weg, du Grünschnabel! Wenn du ein Mann wärest, würde ich dich jetzt auf den Arsch setzen!«
»Überschlaf mal die Sache, Constantin«, warf Amadeo gemächlich ein.
»Du kannst es nicht wissen, in dieser Nacht kommt ihm vielleicht die Erleuchtung!«
Er leckte den Rand des Papiers, klebte die fertige Zigarette zu und zündete sie mit einem Streichholz an, bevor er sich wieder an Manuel wandte.
»Man kann die Dinge so oder auch anders sehen. Die Schwarze Sara hat nichts mit einer katholischen Heiligen zu tun. Ihre Legende ist – wie es sich gehört – sentimental und erbaulich: Nach dem Tod Christi kam ein Schiff ohne Segel und Ruder aus Palästina. Es wurde von Ibissen geleitet und strandete an den Gestaden der Provence. An Bord befanden sich Maria Salome und Maria Jacobi, die der Evangelist Markus am Fuß des Kreuzes erwähnt. Sara, die dunkelhäutige Dienerin, folgte ihre Herrinnen ins Exil, indem sie ihren Schleier in das Meer warf und trockenen Fußes das Schiff erreichte. Vor ihrem Tod gründeten die drei Frauen eine christliche Siedlung. So kam die Ortschaft ›Les-Saintes-Maries-de-la-Mer‹ zu ihrem Namen. Wallfahrten fanden schon im dreizehnten Jahrhundert statt.«
Amadeo blies Zigarettenrauch in die Luft, einer nach dem anderen stiegen sie auf: kreisrund,
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