Feuerfrau
Die Lavaschlacken am Straßenrand wirkten wie ein hartgebackener Krümelkuchen, mit Buschwerk überzogen.
»Zehn Jahre muß die Lava alt sein, bis sie fruchtbar wird«, sagte Aurelio, »aber hier wachsen die süßesten Trauben der Welt.«
Manchmal hatten die Erderschütterungen Felsen gelöst; sie waren eine kurze Strecke über den Berghang gerollt, dann irgendwie zum Stocken gekommen. Hier und da hatten sie einen Baum mitgerissen, das Wurzelgebilde freigelegt.
»Die Erde hört nicht auf zu beben«, sagte Aurelio. »Man spürt es bis nach Catania.«
»Regt ihr euch eigentlich darüber auf?« wollte Alain wissen.
Luciana schüttelte den Kopf.
»Dazu fehlt es uns an Energie. Das einzige, was wir tun, ist, aufhören zu reden, bis es wieder ruhig wird.«
Zafferana Etnea bot trotz seines Rufes als »Kurort« nichts Anziehendes, ein Niemandsland zwischen ärmlicher Vergangenheit und High-Tech.
Autos und Motorroller fuhren gefährlich nahe an schwerbepackten Mauleseln vorbei. Alte Frauen, unter ihren Reisigbündeln halb begraben, schlichen an den Hauswänden entlang. Aurelio schlug vor, einen Kaffee zu trinken. Wir stiegen aus und suchten ein Cafe. Die Luft roch nach Weihrauch, Abgasen und Schwefel. Als wir in das Cafe traten, war es voller Männer, die alle aufhörten zu sprechen und uns anstarrten. Wir setzten uns und sprachen über die Tremorspektren, die die Bodenerschütterungen wiedergaben und sich in der Klangfarbe – der Frequenz – der Stöße unterschieden. Es hing mit den unterirdischen Kanälen zusammen. Die Druckstöße im Magma regten die Schlote zur Eigenresonanz an.
»Wie die Töne von Orgelpfeifen«, sagte Aurelio zur Manuel, der wenig sprach und viel zuhörte. »Die Eigenfrequenzen hängen davon ab, wie lang der Kanal ist und ob er am Ende offen oder geschlossen ist.«
Der herbe Kaffee, stark gesüßt, tat mir gut. Luciana rauchte eine Zigarette nach der anderen. Außer uns redete niemand im Cafe. Die Männer saßen da wie Holzklötze, bis wir zahlten und gingen. Hinter den Schnörkeln der barocken »Chiesa Madre« wuchs die Kumulus-Wolke des Vulkans wie ein gigantischer Blumenkohl in die Höhe. Ein paar Frauen, schwarzgekleidet, standen vor dem Kirchentor. Der Rosenkranz baumelte in ihren gefalteten Händen.
Hinter Zaffarena Etnea schwang sich die Straße höher; an einigen Stellen war der Asphalt mit Steinen frisch aufgeschüttet. Die Sonne funkelte mit sengender Grellheit, als ob sie durch ein Brennglas fiel.
Manchmal erfaßte der Blick einen grenzenlosen blauen Raum bis an die Küste; dann wieder tauchte die Straße in Hügelbildungen unter, die düster und waldig waren. Allmählich wichen die fruchtbaren Äcker kahlen Flächen und braunrotem Geröll, in dem seltsam geformte Kuppen auftauchten, die ihre versteinerte Lava trugen, wie Kronen aus schwarzen Schaum.
Vor dem Rasthaus standen einige Wagen. Wissenschaftler aus Deutschland und Dänemark waren schon vor zwei Tagen eingetroffen.
Reporter vom »Corriere de la Sera« und von »La Stampa« waren anwesend, und ein Aufnahmeteam vom italienischen Fernsehen war auch unterwegs.
Der »Refugio Sapienza«, vor einigen Jahren bei einer Eruption zerstört, war neu aufgebaut worden. Souvenirläden und Bars waren geschlossen und der Betrieb der Seilbahn eingestellt. Die Zimmer waren einfach und schlecht geheizt, aber zum Glück hatten wir genug Wolldecken. Von unserem Fenster aus fiel der Blick auf einen kleinen, erloschenen Krater.
Der Trichter war völlig rund; an seinen Hängen klebte Abfall. Offenbar benutzte man den Krater als Müllhalde.
Meine Gelenke fühlten sich steif an. Ich setzte mich aufs Bett und wischte mir die Stirn mit dem Arm ab.
»Fühlst du dich nicht wohl?« fragte Manuel.
»Kopfweh.«
»Die Höhenluft, vielleicht?«
Mir schien, als ob ich niemals die erforderliche Kraft aufbringen würde, um auf die Beine zu kommen. Aber das dauerte nicht lange. Ich schloß die Augen, öffnete sie wieder, und es war vorüber.
Im Restaurant war der Tisch schon gedeckt. Das Essen war reichlich und deftig: Nudeln mit Tomatensauce und öltriefende Schweinswürste, dazu einige Sorten Gemüse. Ich würgte ein paar Bissen herunter. Wenn man mich etwas fragte, mußte ich mich gewaltsam zusammennehmen, um eine halbwegs vernünftige Antwort zu geben. Aber nach dem Essen ging es mir besser. Der Wirt, dunkelbraun, mit einem verwegenen Berglergesicht, erzählte uns, daß man das Zischen der aufsteigenden Lava höre, wenn der Wind aus der
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