Feuerfrau
gegründete Bergunterkunft – war gesperrt. Man hatte auch den Betrieb der Bergbahn eingestellt.
»Zum Glück sind im Winter nur wenig Touristen da«, sagte Aurelio Carboni, der uns am Flughafen abholte. »Bei jeder Eruption gibt es Unfälle.
Die Touristen genießen das Schauspiel, als sei es für ihr Vergnügen inszeniert. Wir aber wissen, was der Kampf gegen den Vulkan bedeutet«, schloß er lächelnd. »Die Lava wird siegen, aber da wir schlau sind, zögern wir ihren Sieg so lange wie möglich hinaus.«
Aurelio arbeitete als Physiker am Internationalen Institut für Vulkanologie in Catania und befaßte sich mit der Untersuchung von Erdbebenherden. Ich hatte ihn auf einem Kongreß in Stuttgart kennengelernt und mochte ihn gern. Er war ein hochgewachsener Mann, dunkelgelockt, mit Tränensäcken unter den Augen, seltsam abstehenden Ohrläppchen und einem melancholischen Mund. Seine Züge erinnerten mich an die Gesichter, die man auf alten römischen Mosaiken sieht: wohlgeformt und harmonisch, aber von einer Mischung aus Trägheit und Skepsis gezeichnet.
Neben ihm wirkte Alain wie ein sehniger kleiner Foxterrier, dessen schwarze Knopfaugen alle Dinge neugierig, flink und scharf erfaßten. Er hatte veranlaßt, daß uns das Institut zwei neue Seismometer mitgab; das Aufzeichnungsgerät, das die Meßdaten speicherte, war computergesteuert.
Der Computer erlaubte eine schnellere und gründlichere Auswertung der Aufzeichnungen, um die Bewegung und den Aufstieg des Magmas im Inneren des Vulkans zu messen. Aurelio überprüfte die Geräte mit neiderfülltem Enthusiasmus. Die Universität Catania hatte kein Geld und arbeitete mit Geräten, die Alain als vorsintflutlich bezeichnete.
Ich war auf Alain nicht gut zu sprechen. Die Nachricht aus Catania war eben da, als er schon Martin mit einem Fax benachrichtigte. Ich hatte meinen Ärger nur mühsam unterdrückt.
»Ist er nicht schon längst wieder in Amerika?«
»Er geht erst im April. Wir hatten vereinbart, daß ich ihn informieren würde, sobald sich etwas Interessantes tut.«
»Wozu brauchen wir einen Fotografen, Alain? Wir nehmen doch alles auf Video auf.«
»Er sammelt für sein Archiv. Wir sponsern seine Ausstellungen, dafür stellt er uns erstklassiges Bildmaterial zur Verfügung. Und er ist zuverlässig, was die meisten Fotografen nicht sind.«
Alain blieb sachlich. Er wußte, daß ich eine Zeitlang mit Martin zusammengelebt hatte und wir uns getrennt hatten.
»Ich mische mich nicht in dein Privatleben ein, mein Selbsterhaltungstrieb läßt das nicht zu. Aber du wirst doch wohl ein paar Tage mit ihm auskommen, ohne ihn gleich in einen Krater zu stoßen.«
»Wenn er den Mund hält. Wann kommt er?«
»In ein oder zwei Tagen. Er hat noch einen Auftrag in der Dordogne zu erledigen. Den Ätna kennt er gut. Er wird sich schon zurechtfinden.«
Ich sagte Manuel Bescheid. Er lächelte nur, in seiner heiterspöttischen Art. Es brauchte mehr, um ihn aus der Fassung zu bringen.
»Ich behaupte nicht, daß mich seine Anwesenheit mit Freude erfüllt, aber ohne ihn hätten wir uns wahrscheinlich gelangweilt.«
»Ach, Manuel, es tut mir leid. Ich bin etwas gereizt, wenn es um Martin geht. Er hat mir das Leben versaut, als ich damals in Paris auf dich wartete.«
Er blinzelte.
»Hast du auf mich gewartet? Das wußte ich nicht.«
»Ich bin wählerisch, wenn es drauf ankommt.«
»Wir experimentieren gern.«
War es ein Experiment gewesen, damals, in Les-Saintes-Maries-de-laMer? Experimente kann man machen, aus Lust oder Neugierde, ohne daß sie das Leben verändern. Es war am Ende der Nacht gewesen, als die Morgensonne Goldstaub durch die Jalousien streute; wir hatten uns geliebt, Amadeo, zusammen mit ihm, und füreinander einen anderen Raum geschaffen. Die Zärtlichkeit hatte neue Worte und Gesten und Liebkosungen erfunden. Wir entdeckten, daß man sich auf viele Arten lieben kann, auch auf Umwegen; wir überließen uns dieser Richtung, weil wir merkten, daß sie unseren Bedürfnissen entsprach. In diesen frühen Morgenstunden und in den folgenden Nächten rissen wir alle Schranken nieder. Du und ich hatten nichts aufgegeben, von nichts abgelassen, nur etwas anderes hinzugefügt. Ich hatte es von dir verlangt, hatte dir zugeführt, was du dir selbst nicht nehmen wolltest, und von diesem Augenblick an hatten sich die Bilder verwischt; die Gier, die dich und ihn in meiner Gegenwart überschwemmte, fand zu mir zurück, danach, erfüllte meinen Leib mit pulsierender Glut.
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