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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Die Zweideutigkeit der Bemerkung entging mir; ich hatte den besten Grund, sie durchaus wörtlich zu nehmen. »Nein. Ich spüre nichts.«
    Seine Augen ließen von mir nicht ab. Er schien mir plötzlich zugänglicher. Ich konnte auf seinem Gesicht fast ablesen, was er dachte, und das war sonderbar genug. Er nahm mich plötzlich wahr, betrachtete das Wesen, das ihm in Gestalt einer Internatsschülerin entgegenblickte. Es war damals üblich, daß wir Uniformen trugen: knielange Faltenröcke, weiße Blusen mit runden Kragen und marineblaue Strickjacken. Amadeo sah die glatte Stirn des Mädchens, den langen zarten Hals, die starken Wimpern, die braunen Pupillen. Alles begann in diesem Atemzug, als ihre Augen sich trafen und einander den Aufruhr mitteilten, den sie getrennt erlebten. Er trug eine Ratte auf der nackten Schulter; sie hatte weiße Baumwollsocken an, ihre Zöpfe waren frisch gewaschen und glänzten. Er roch nach Pferdemist und Schweiß, sie duftete nach Lavendelseife. Doch für beide war es, als ob jeder im anderen, deutlich erkennbar, sein eigenes Seelenteil entdeckte. Dieses seltsam verdoppelte Sehen, als versänke jeder tief in sich selbst und gleichzeitig in dem anderen, entfachte in beiden eine plötzliche Stille, wie im Auge eines Taifuns. Alles stockte, Stimme, Atem, das Leben selbst. Nachdenken war nicht nur unmöglich, sondern überflüssig. Sie wußten so wenig voneinander, wie der Wind von dem Zelt weiß, in dessen Bahnen er spielt, aber sie fühlten die gleiche Kopflosigkeit, die gleiche Erschütterung, als vor ihren Augen ein Traumbild lebendig wurde.
    Eine Sekunde nur, und meine Kindheit war tot. Eine weitere Sekunde, und er wußte um das Unausweichliche. Es gab kein Zurück mehr. Das Schicksal hatte uns gepackt; und es hatte uns nicht zusammengeführt, um uns unversehrt gehen zu lassen. Mein Puls beschleunigte sich, meine Schenkel wurden schwach und zitterten. Wie kann eine Fünfzehnjährige wissen, was Verlangen bedeutet? Woher soll sie die Kenntnis nehmen, daß dieses Verlangen nur der Eintritt in eine andere Dimension ist? Mag sein, daß ich es fühlte; Kinder fühlen solche Dinge, auch wenn sie die Wunden der Liebe nicht kennen. Er jedoch empfing die Wunde bei lebendigem Leib und mit klarem Verstand, wie ein Messer, das sich in sein Herz bohrte. Er war von diesem Schmerz überwältigt, ihm hilflos und wütend ausgeliefert.
    »Scheiße, verfluchte!« knurrte er, nahm die Ratte von seiner Schulter und hielt sie mir hin. Mir fiel auf, wie behutsam die Gebärde war, wie gelenkig die schmalen dunkeln Finger. Er legte das Tier in meine Handfläche. Die Ratte beschnüffelte mich. Ihre Krallen bewegten sich auf meiner Haut, aber es tat nicht weh. Ich lachte und sah zu ihm empor.
    »Es kitzelt…«
    Er starrte mich an. Ein Zucken ging über die braune Haut, straff gespannt über die hohen Wangenknochen. Seine Augen waren pechschwarz unter dem strähnigen Haar. Doch ich bemerkte ein paar goldene Glanzlichter in ihnen, wie Funken in dunklen Gewässern.
    »Sie heißt Topsy«, sagte er kehlig. »Sie ist noch ganz jung.«
    Wir fuhren mit dem Autobus zurück. Es wurde höchste Zeit. Man achtete streng darauf, daß wir pünktlich waren. Ich starrte aus dem Fenster.
    Lange herrschte Schweigen, bis Eleni sagte: »Komm, sei nicht traurig.«
    Ich drehte abwesend den Kopf herum.
    »Ich bin nicht traurig. Ich überlege, wie ich aus dem Schlafsaal komme…«
    »Bist du wahnsinnig?«
    Ich kaute an meinen Nägeln.
    »Ich muß nachdenken.«
    »Du sorgst noch dafür, daß du erwischt wirst!«
    »Das ist mir egal.«
    »Ariana, ich will dir nur sagen…«
    »Sei still!«
    Sie wandte das Gesicht ab. Dann fühlte ich mich allein gelassen, ihr Schweigen war unerträglich. Ich rüttelte an ihrem Arm.
    »Bist du mir böse?«
    »Nein.«
    Sie war unglaublich. Mein Gott, war sie verständnisvoll!
    »Ich habe dich vorhin nicht ausreden lassen. Was wolltest du sagen?«
    Ein kleines Schulterzucken nur, ein tiefes Atemholen.
    »Ach, nichts weiter. Bloß, daß er gar nicht so schlimm ist, wie ich dachte…«
    Über eine Zeitspanne von vierzehn Jahren kehrte der Klang ihrer Worte zurück, während Eleni mir gegenübersaß und mit der Gabel eine Cremeschnitte zerteilte. Sie machte das sehr geschickt, indem sie den kleinen Teller auf den Knien balancierte.
    »Willst du Martin nicht die Wahrheit sagen?« Ich hob meine Tasse zum Mund. Ich kannte niemanden, der besseren Kaffee machte als Eleni.
    »Ich weiß es nicht. Es gibt Dinge, über

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