Feuerfrau
Erfolg im
»Theátre du Palais Royal«, wo sie in Farcen und Komödien auftrat. Der Kontrast ihrer blonden Eleganz und ihrer herben, fast männlichen Stimme bezauberte. Ihr Lachen war berühmt: Die Bauerntochter aus dem makedonischen Hochland verkörperte mit Grazie und Extravaganz die vollendete Pariserin, bis ein Herzleiden ihrer Karriere ein frühzeitiges Ende setzte. Sie hatte ihr Geld geschickt angelegt und brauchte sich für ihre Zukunft keine Sorgen zu machen. Aber Sophie Avril war mit der Welt der Schauspieler zu lange verbunden gewesen, als daß sie sie hätte aufgeben können. Als ich sie kennenlernte, war sie im Palais Royal für Requisiten und Kostüme verantwortlich. Dort arbeitete sie bis zu ihrem Tod, sieben Jahre später. Wie oft hatten Eleni und ich hinter den Kulissen die Proben miterlebt – und manchmal sogar die Uraufführungen. Und ich war stets am glücklichsten, wenn ich bei Elenis Mutter das Wochenende verbringen konnte, in der großen Wohnung voller Stoffblumen, exotischer Möbel und Fotos von Schauspielern, alle von Harcourt aufgenommen und mit handgeschriebenen Autogrammen versehen.
Sophie hatte versucht, mir Klavierstunden zu geben, und es bald aufgegeben. »Du bist wirklich nicht dafür gemacht!« sagte sie, was mich damals zutiefst kränkte. Ich beneidete Eleni, die Welt der Musik zog mich an: Ich mußte einsehen, daß ich unbegabt war. Die Feststellung schmerzte.
Sophie tröstete mich: »Mach dir nichts draus, ma cherie! Du wirst bald wissen, wozu du gut bist.«
Die Monate vergingen. Von Zeit zu Zeit fragte Sophie im verschmitzten Tonfall:
»Immer noch keine Idee, wozu du gut bist?«
»Immer noch nicht.«
Sie lachte heiser und bezaubernd, wie auf der Bühne.
»Eines Tages fällt dir schon was ein.«
Die Idee kam, zeichnete sich deutlicher ab und fand nach und nach ihre endgültige Form. Sie hatte nichts mit Musik zu tun, leider. Sie hing mit einer Schachtel Streichhölzer zusammen und mit etwas, worüber ich nicht sprach. Es war eine namenlose Verzweiflung gewesen, eine Qual, die im Wahnsinn hätte enden können. Eleni erfuhr erst davon, als ich einen Zustand erreicht hatte, der Erinnerungen weit wegschob und unverbindlich machte. Da erzählte ich ihr, daß ich nahe daran gewesen war, die Schule in Brand zu stecken. Aber Eleni hatte Stavros und Anghelina schon besucht und war nicht so entsetzt, wie sie es hätte sein können.
Die Tage vergehen, die Zeit vergeht. Alte Bilder kommen ans Licht und verblassen, sie ziehen sich zurück, sind weg und verloren. Die Zukunft kommt schnell, ich weine nicht um den dahingegangenen Tag, es ist auch weiter nicht wichtig. Nur gewisse Erinnerungen stehen vor mir, als wären sie erst gestern gewesen. Ich kann sie im Geist wieder erleben, wann ich will. Gleichwohl spielten sie sich vor langer Zeit ab, an einem Sonntag im Mai. Dieses Stück aus meinem Leben, diese Szene, spult sich in mir ab wie ein Filmstreifen.
Es ist also an einem Sonntag im Mai. Eleni und ich sind mit dem Autobus zum Bois de Boulogne gefahren. Das war erlaubt, sobald die Tage länger wurden. Nach Sonnenuntergang bevölkerten exotische Nachtschattengewächse das Gelände; der Bois war nur tagsüber begehbar, auch wenn unter den Büschen Injektionsnadeln lagen. Man konnte bummeln, radfahren oder beim Pferderennen zuschauen. An diesem Sonntag war der Himmel blau, die Wärme fast hochsommerlich. Wir wollten ein Ruderboot mieten. Zufällig sahen wir das kleine Zirkuszelt, die paar Wohnwagen, die Käfige für die Raubtiere. Hinter Seilabsperrungen, die Neugierige fernhalten sollten, standen ein Elefant und eine Giraffe. Ein Schimpanse, der sich heftig kratzte, zog an einer Kette. Nasse Wäsche flatterte auf Leinen. Es roch nach wilden Tieren, Butangas, Mist und gebranntem Zucker. Eine fremde Welt, von der wir nichts wußten. Die kleine Musikkapelle schmetterte einen Marsch. Der Rufer, als Clown geschminkt, mit roter Nase und enorm dickem Bauch, schrie in einen Lautsprecher. Noch sechs Minuten bis zur Vorstellung. Eleni und ich tauschten einen Blick.
»Gehen wir?«
Ich stand unschlüssig da.
»Hast du Geld?«
Meine Mutter gab mir nie genug Taschengeld, was mich oft in Verlegenheit brachte. Zum Glück war Sophie Avril großzügig. Sie sagte zu Eleni, sie solle mich einladen.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf, wenn man es am wenigsten erwartet.
Alles entsteht im Unbewußten, in der tiefen Welt der Phantasie. Wir erschaffen uns die Gestalt, die wir lieben; sie gehört zu den
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