Feuerfrau
immer noch nicht gesagt, wer Sie sind und woher Sie kommen.«
»Ich bin ein Sohlengänger und gehörte zur allesfressenden Gattung«, sagte Amadeo feierlich, worauf die ganze Tischrunde in Gelächter ausbrach. Martins Lippen zuckten nervös. In seinen blauen Augen, die freundlich zu blicken versuchten, schimmerte Verdrossenheit. Er lachte mit den anderen, um sich keine Blöße zu geben. Amadeo schien zu ihm aus der Ferne zu sprechen, seine ganz besondere Art der Unangreifbarkeit, die so fest und selbstsicher war, mußte auf manche Menschen wie kaltes Dynamit wirken. Ohne sich recht klarzuwerden, warum, ging Martin mit ihm sehr vorsichtig um.
Inzwischen räumten Lola und Coralie den Tisch ab. Im Vorbeigehen wandte mir Coralie das Gesicht zu; ich sah den Zorn in ihren Augen. Ihr Schal, mit Goldflitter bestickt, glitt an meiner Schulter vorbei. Ich hatte nichts gegen sie, verhinderte aber auch nicht, daß Coralie meine Ruhe als Überheblichkeit auslegte und mich gerade deswegen noch mehr haßte.
Im Samowar sang das kochende Wasser; die Inder lehnten sich behaglich zurück, schlürften genüßlich den Tee. Jean schenkte neuen Wein ein. Elenis Augen glänzten, ihre helle Haut war ein wenig gerötet. Jorge blickte um sich, interessiert und gelassen; in seinen Zügen war Zärtlichkeit, die ein halbes Lächeln begleitete. Er war ein Künstler, der andere Künstler betrachtet, eine Schönheit in ihnen erkennt, von denen sie nichts wissen.
Djali hatte kurz den Wohnwagen verlassen; er kam nun mit zwei Gitarren zurück, von denen er eine Matteo reichte. Ja, dachte ich, auch das gehört dazu. Beide legten das Tragband um ihre Schultern. Sie stimmten die Gitarre, ließen einige Akkorde erklingen, bevor sie zu spielen begannen.
Der Rhythmus pulsierte, hart und straff, bevor sich die Kadenz in zügelloser Wildheit entfesselte. Bald flogen die Töne wie Funken, von Zurufen und Händeklatschen begleitet. Die Musik atmete den Erdgeruch des fahrenden Volkes aus, sie kam von weit her und hatte ihre menschliche Wärme bewahrt. Sie weckte alles in mir, was tief verborgen war. Meine Gedanken wurden zu Flügeln, schwangen empor, ließen Bilder vor meinen Augen entstehen: die Lagunen der Camargue, die weidenden Stiere, die Dünen, schneeweiß im Mondlicht. Gerüche von Ginster und Tang, das seidenweiche Knistern des Schilfs, die einsame Laterne eines Fischers.
Meine Hüften, die in dem kühlen Sand eine Grube aushöhlten, der Salzgeschmack in meinem Mund, das Gewicht deines Körpers auf meinem…
Amadeo starrte vor sich hin, die braunen Lider halb geschlossen.
Plötzlich hob er den Blick, drückte er seine Zigarette so aus, daß sich der Aschenbecher hin- und herdrehte. Als unsere Augen sich fanden, hatte ich das Gefühl, daß dieser Blick sich in mich hineinbohrte. Wir erinnerten uns beide, sahen die gleichen Bilder, teilten die gleichen Empfindungen. Das Verlangen ließ uns beben. Ich wollte mit beiden Händen über seine Brust streichen, den Bogen seiner Hüften entlang, bis zu den harten, federnden Schenkeln. Ich wollte mich unter seinem Körper ausstrecken, seine Wärme in mir spüren. Das Verlangen wurde so stark, dermaßen unerträglich, daß ich die Finger zu Fäusten ballte und kaum den Schmerz wahrnahm, als meine Nägel sich in die Handflächen bohrten.
Dann plötzliche Stille. Die Gitarren verstummten, als ob ein unsichtbarer Dolch mit einem Hieb die Kette der Töne zerschnitten hätte.
Beifall brach los; alle lachten, trommelten mit den Füßen. Die Stimmung wurde ausgelassen. Lola füllte Wein in die Gläser. Jorge und Eleni wurden aufgefordert zu spielen; beide ließen sich lachend überreden. Eleni stimmte die Gitarre, zupfte einige Akkorde. Ihr Gesicht neigte sich über das Instrument wie eine Mutter über ihr ruhendes Kind. Sie schien tief auf dem Grund ihrer selbst einer Stimme zu lauschen, die nur sie zu hören vermochte und deren Ton und Klangfarbe sie in die Sprache der Gitarre übertrug. Jorge begleitete sie im dunklen, glockenklaren Rhythmus, trieb sie voran, rief sie zurück und holte sie wieder ein, um sich mit ihr im Gleichklang der Akkorde zu vereinen. Sie spielten »El Fandango al Candil«
von Granados – »der Fandango im Kerzenschein« – eine Musik der gezierten Eleganz, der rauschenden Seidenstoffe und der bebenden Fächer.
»Komm näher!« flüsterte Amadeo.
Wir neigten uns zueinander; unser Atem vermischte sich.
»Du bleibst doch, oder?« fragte er leise.
Ich deutete mit einem Blinzeln auf
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