Feuerfrau
Coralie.
»Sie wird dir die Augen auskratzen.«
»Sie zählt nicht. Und er?«
Amadeos Augen zuckten zu Martin hinüber.
»Er zählt nicht.«
Amadeo lächelte auf eine so nachhaltige Art, daß ich mein Herz in der Brust klopfen hörte.
»Bueno!« murmelte er auf spanisch. »Wir werden sie bald los sein.«
Raschid-Khan war wieder in Form. Er ließ einen gewaltigen Rülpser hören, bevor er seinen jüngsten Sohn Nadir schickte, seine Laute zu holen.
Er befreite sie aus dem bestickten Seidentuch, das sie auf der Reise schützte. Und nun, während er die Laute schlug und Rafiks gelenkige Hände die Trommel streichelten, begann Raschid-Khan zu singen. Im weichen, geschmeidigen Rhythmus webte die Melodie ihr betörendes Netz aus Tönen, ein zaubriges Filigran, das kreisend emporstieg. Und auch diese Musik war der Seele der Romanos vertraut, schöpfte sie doch ihre Klangfülle aus den gleichen urtümlichen Quellen. Bald summten alle die Melodie mit, klatschten in die Hände, und Amadeo begann leise zu pfeifen.
Wassilio wiegte den Kopf, die Augen halb geschlossen, wie ein träumender Vogel. Martin trank die ganze Zeit; seine Pupillen waren glasig geworden.
Sobald sein Glas leer war, gab Amadeo Lola unauffällig ein Zeichen, und sie schenkte ihm neuen Wein ein. Ich fühlte, wie ich immer tiefer in mir selbst wanderte, jenen Zeiten entgegen, die wichtig für mich waren.
Plötzlich kam mir ein spanisches Gedicht in den Sinn, das Amadeo mir einst beigebracht hatte. Dieses Gedicht hatte eine Bedeutung für mich; sonderbar, so jung war ich und hatte es damals schon gewußt. Und Amadeo war jetzt bei mir, wie damals, sein Gesicht dem meinen gegenüber. Als Raschid-Khan den letzten Ton gesungen hatte und ein kurzes Schweigen entstand, sagte ich ihm dieses Gedicht, sagte es in seine Augen.
La luna vino à la fragua
con su polisón de nardos
El niño la mira mira.
El niño la esta mirando…
Der Mond kam in die Schmiede
Mit seinem Halsband aus Narden
Das Kind beschaut, beschaut ihn
Beschauend bleibt das Kind…
Amadeo horchte nur kurz in sich hinein. Er mußte sich täglich mit vielen Dingen befassen, aber sein Gedächtnis war besser als das der meisten. Die nächste Strophe kam ganz mühelos über seine Lippen.
In der wehenden Luft Bewegte der Mond die Arme Entblößte, unzüchtig und rein Brüste aus hartem Zinn. Fliehe, Mond, Mond, Mond Wenn die Zigeuner kommen Machen sie aus deinem Herzen Weiße Ketten und Ringe…
Martin starrte uns aus blauen, lichtlosen Augen an. »Ich wußte nicht«, sagte er schwerfällig zu mir, »daß du Gedichte aufsagen kannst. Und dazu noch auf Spanisch.«
Amadeos dunkle Lippen kräuselten sich spöttisch.
»Sie kennen Ariana nicht sehr gut.«
»Glauben Sie etwa, sie besser zu kennen?«
»Ich habe noch viel zu lernen, aber Wölfe verwechsle ich nicht mit Schakalen.«
»Was zum Teufel soll das nun wieder heißen? Fallen Ihnen keine anderen Vergleiche ein? Wir sind keine Tiere!«
»Sicher nicht. Tiere schauen uns in die Augen, wenn sie uns aus Angst um ihr eigenes Leben angreifen.«
Martin hatte den Punkt erreicht, wo die Leichtigkeit und Freundlichkeit seines nüchternen Zustandes in Gereiztheit umschlug. Da er sich gut kannte, kämpfte er dagegen an. Er mußte gemerkt haben, daß er sich auf etwas eingelassen hatte, das außerhalb seines Gesichtskreises lag; Amadeo und ich waren durch Schlüsselworte miteinander verbunden, zu denen er keinen Zugang hatte. Immerhin gab es Dinge, die er wahrnahm, die seine Gefühle ebenso verletzten wie sein Moralempfinden, und er hatte nicht einmal unrecht damit. Und zugleich war er fasziniert, nahezu gebannt, wie ein Mensch, der nachts auf einer Klippe steht und unter sich eine Tiefe spürt, die er nur zu ahnen vermag.
Ich nickte Eleni unmerklich zu. Sie lächelte, wissend, nachsichtig und etwas betrübt: Wir verstanden uns. Sie zupfte Jorge am Ärmel und sah ihn an. Dieser, ihren Blick verstehend, sah auf seine Uhr und rief in einem Ton gespielter Überraschung:
»Schon halb zwei! Wir sollten allmählich fahren. Um neun fange ich in der Musikhochschule an.«
»Wer ißt und trinkt und Musik macht, zählt nicht die Stunden«, sagte Lola heiter. Doch Eleni und Jorge zogen schon ihre Mäntel an. Martin trank sein Glas aus und schnalzte mit der Zunge.
»Ich muß schon sagen, der Wein ist ausgezeichnet.«
Er stützte sich auf den Tisch, kam schwankend auf die Beine und schenkte Amadeo ein aufgeräumtes Lächeln.
»Ach, was für ein hübscher
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