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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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unterhalb entlangführte. Sie lag im fahlen Licht der Leuchtstofflampen. Man könnte vielleicht die Böschung hinuntersteigen und versuchen, auf der Standspur einen Wagen anzuhalten. Wenn allerdings ein Polizist sie sah, war auch die geringste Chance wegzukommen vertan. Andy überlegte, wie weit sie wohl noch gehen mußten, um eine Auffahrt zu erreichen. Er spürte bei jedem Schritt einen dumpfen Schmerz im Kopf.
    »Daddy? Kannst du noch?«
    »Es geht schon«, sagte er, aber eigentlich ging es nicht. Er machte sich nichts vor, und er bezweifelte, ob er Charlie etwas vormachen konnte.
    »Wie weit ist es noch?«
    »Wirst du müde?«
    »Noch nicht … aber Daddy …«
    Er blieb stehen, senkte den Kopf und sah sie ernst an. »Was ist denn, Charlie?«
    »Ich glaube, die bösen Männer sind in der Nähe«, flüsterte sie.
    »Nun ja«, sagte er. »Ich denke, wir sollten den Weg abkürzen, Schatz. Schaffst du den Abhang, ohne hinzufallen?«
    Sie schaute die mit Oktobergras bedeckte Böschung hinab.
    »Ich glaube ja«, sagte sie zaghaft.
    Er stieg über die Leitplanke und half auch ihr hinüber. Wie so oft unter extremen Schmerzen und extremer Belastung, versuchten auch heute seine Gedanken, sich in die Vergangenheit zu flüchten. Es hatte gute Jahre gegeben, es war schön gewesen, bevor diese Schatten über ihre Leben fielen – zuerst nur über seines und Vickys, dann waren sie alle drei betroffen, und Stück für Stück wurde ihr Gück ausgelöscht, so unerbittlich wie eine Mondfinsternis das Mondlicht auslöscht. Es war …
    »Daddy!« schrie Charlie entsetzt. Sie hatte auf dem trügerischen glatten Gras den Halt verloren. Andy versuchte, ihren Arm zu packen, aber er griff vorbei und verlor selbst das Gleichgewicht. Der Aufprall auf den Boden ließ seinen Kopf so schmerzen, daß er laut aufbrüllte. Dann rollten und glitten sie beide den Abhang hinab der Nordroute entgegen, wo die Autos vorbeirasten, viel zu schnell, als daß sie noch hätten bremsen können, wenn einer von ihnen – er oder Charlie – auf die Fahrbahn gestürzt wäre.
12
    Der Assistent wickelte eine Gummimanschette dicht über dem Ellbogen um Andys Oberarm und sagte: »Machen Sie bitte eine raust.« Andy gehorchte. Sofort trat die Vene hervor. Er schaute weg und fühlte sich unwohl. Zweihundert Dollar hin, zweihundert Dollar her, er hatte keine Lust, auch noch zu sehen, wie der intravenöse Tropf angebracht wurde.
    Vicky Tomlinson lag auf dem nächsten Klappbett. Sie trug eine ärmellose weiße Bluse und taubengraue Hosen und
    lächelte ihm gequält zu. Wieder mußte er daran denken, wie schön ihr rotes Haar war und wie gut es zu ihren strahlenden blauen Augen paßte … dann der stechende Schmerz, und anschließend das dumpfe Hitzegefühl im Arm.
    »So, das hätten wir«, sagte der Assistent beruhigend.
    »Jetzt fängt’s erst an«, sagte Andy und war kein bißchen beruhigt.
    Sie lagen in Zimmer siebzig des Jason-Gearneigh-Gebäudes. Die Universitätsklinik hatte freundlicherweise ein Dutzend Klappbetten zur Verfügung gestellt, und die zwölf Freiwilligen lagen auf Schaumstoffkissen und verdienten ihr Geld. Dr. Wanless beteiligte sich nicht selbst an der technischen Durchführung, sondern ging zwischen den Betten auf und ab und hatte für jeden ein Wort und ein frostiges Lächeln. Jetzt fangen wir jeden Augenblick an zu schrumpfen, dachte Andy voll Entsetzen. Als sie alle versammelt gewesen waren, hatte Wanless eine kurze Ansprache gehalten, die darauf hinauslief: Habt keine Angst. Ihr ruht geborgen im Schoß der Wissenschaft. Andy hatte nicht viel Vertrauen in die moderne Wissenschaft, die der Welt zusammen mit Salk-Impfstoff und Clearasil die Wasserstoffbombe, Napalm und das Lasergewehr beschert hatte.
    Der Assistent tat jetzt etwas anderes. Er kniffte die Zuleitung. Der intravenöse Tropf enthielt Wasser mit fünf Prozent Dextrose, hatte Wanless gesagt … er nannte es eine D5W-Lösung. Unterhalb der abgeklemmten Stelle der Zuleitung ragte ein kleiner Nippel hervor. Wenn Andy Lot Sechs bekam, würde man es dort mit einer Spritze hineingeben. Wenn er zur Vergleichsgruppe gehörte, würde man normale Salzlösung injizieren. Kopf oder Zahl.
    Wieder schaute er zu Vicky hinüber. »Wie fühlst du dich, Mädchen?«
    »Okay.«
    Wanless war aufgetaucht. Er stand zwischen ihnen und sah zuerst Vicky, dann Andy an.
    »Sie spüren einen leichten Schmerz, nicht wahr?« Er sprach völlig dialektfrei, und ein regionaler amerikanischer Dialekt war schon gar

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