Feuerkind
nicht herauszuhören. Er konstruierte die Sätze
so, wie Andy es von einem Mann vermutete, der Englisch als
Fremdsprache gelernt hatte.
»Einen Druck«, sagte Vicky. »Einen leichten Druck.«
»So? Das geht vorüber.« Wohlwollend sah er Andy an. In seinem weißen Arztkittel wirkte Wanless sehr groß. Seine Brillengläser aber wirkten sehr klein. Ein eigenartiger Gegensatz.
Andy sagte: »Wann fangen wir an zu schrumpfen?«
Wanless hörte auf zu lächeln. »Haben Sie das Gefühl, daß Sie schrumpfen werden?«
»Schschrrrumpfen«, sagte Andy und grinste albern. Er spürte, wie sich etwas in ihm veränderte. Mein Gott, er wurde high. Er war wie benebelt.
»Es geht in Ordnung«, sagte Wanless, und sein Lächeln wurde noch freundlicher. Er ging weiter. Reiter, reite weiter, dachte Andy wirr. Wieder schaute er zu Vicky hinüber. Wie ihr Haar leuchtete! Es war verrückt, aber ihr Haar erinnerte ihn an den Kupferdraht in der Lichtmaschine eines neuen Automotors … Generator … Alternator … welch Geschwätz …
Er mußte laut lachen.
Mit einem leichten Lächeln, als hätte er den Witz verstanden, klemmte der Assistent wieder die Zuleitung ab und injizierte ein wenig mehr vom Inhalt der Spritze in Andys Arm. Dann schlenderte er davon. Andy betrachtete den Schlauch des intravenösen Tropfes. Jetzt störte das Ganze ihn nicht mehr. Ich bin eine Fichte, dachte er. Seht nur meine schönen Nadeln. Und wieder lachte er.
Vicky lächelte ihn an. Mein Gott, war sie schön. Er wollte es ihr sagen, ihr sagen, daß ihr Haar wie brennendes Kupfer aussah.
»Danke«, sagte sie. »Welch schönes Kompliment.« Hatte sie das wirklich gesagt? Oder hatte er es sich nur eingebildet?
Er nahm die letzten Fetzen seines Verstandes zusammen und sagte: »Ich glaub’ ich bin von dem destillierten Wasser besoffen geworden, Vicky.«
»Ich auch«, sagte sie ruhig.
»Ist es nicht schön?«
“Ja, schön«, sagte sie verträumt.
Irgendwo weinte jemand. Lallte hysterisch. In interessanten Zyklen schwoll das Geräusch an, um dann wieder zu verebben. Nach einem Nachdenken, das eine Ewigkeit gedauert zu haben schien, wandte Andy den Kopf, um zu sehen, was vor sich ging. Es war interessant. Alles war interessant geworden. Alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen. Er mußte an den avantgardistischen Filmkritiker der Unizeitung und seine Rezensionen denken. Wie schon in früheren Filmen, gelingen Antonioni auch m diesem die spektakulärsten Effekte durch die Verwendung von Zeitlupeneinsiellungen, Zeitlupe. Welch interessantes und gescheites Wort. Es hörte sich an, als kröche eine Schlange aus einem Kühlschrank heraus: Zeitlupe.
Einige Assistenten rannten in Zeitlupe auf eines der Betten zu, die in der Nähe der Wandtafel von Zimmer siebzig aufgestellt waren. Der junge Bursche, der dort lag, tat etwas mit seinen Augen. Ja, er tat wirklich etwas mit seinen Augen, denn er hatte die Finger in sie hineingewühlt und schien sich die Augäpfel herauszureißen. Seine Hände waren zu Klauen gekrümmt, und Blut spritzte ihm aus den Augen. Es spritzte in Zeitlupe. In Zeitlupe löste sich die Nadel aus seinem Arm. Wanless kam in Zeitlupe herbeigerannt. Die Augen des Jungen lagen jetzt auf dem Bett, und Andy stellte mit klinischer Sachlichkeit fest, daß sie wie zusammengefallene verlorene Eier aussahen. Ja, tatsächlich.
Dann hatten sich die Weißkittel alle um das Bett herum versammelt, und man konnte den Jungen nicht mehr sehen. Direkt hinter ihm hing eine Karte herab. Sie zeigte die einzelnen Abschnitte des menschlichen Gehirns. Mit großem Interesse schaute Andy sich die Darstellung eine Weile an. Serrr inderrressant, wie Arte Johnson in seiner Fernsehshow immer sagte.
Eine blutige Hand erhob sich aus dem Gedränge der weißen Kittel wie die emporgereckte Hand eines Ertrinkenden. Die Finger waren blutbeschmiert, und Gewebefetzen hingen von ihnen herab. Die Hand schlug auf die Karte und hinterließ eine kommaförmige Blutspur. Mit einem klatschenden Geräusch schoß die Karte nach oben und rollte sich auf ihrer Walze auf.
Dann wurde das Bett angehoben (den Jungen, der sich die Augen ausgekratzt hatte, konnte man immer noch nicht sehen) und rasch aus dem Zimmer getragen.
Ein paar Minuten (Stunden? Tage? Jahre?) später trat einer der Assistenten an Andys Bett und injizierte noch ein wenig Lot Sechs in Andys Verstand.
»Wie fühlen Sie sich, mein Junge?« fragte der Assistent, aber natürlich war er gar kein Assistent, genausowenig wie die
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