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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Augen ausgekratzt.
    Aber war das wirklich wichtig?
    Eine Hand, die sich wie die Hand eines Ertrinkenden aus dem Gedränge der weißen Kittel emporreckt.
    Aber das geschah vor langer Zeit. Vielleicht im zwölften Jahrhundert.
    Eine blutige Hand, die auf die Karte schlägt. Die Karte schießt mit einem klatschenden Geräusch nach oben und rollt sich auf Lieber nicht nachdenken. Vicky sah wieder besorgt aus. Plötzlich erklang Musik aus den Deckenlautsprechern, und das war angenehm … viel angenehmer, als über Muskelkater und blutbeschmierte Augäpfel nachzudenken. Die Musik war leise und dennoch erhaben. Viel später befand Andy (in Übereinstimmung mit Vicky), daß es Rachmaninov gewesen war. Und immer, wenn er später Richmaninov hörte, zogen wie Träume die Erinnerungen an jene endlose, zeitlose Zeit in Zimmer 70 des James-Gearneigh-Gebäudes herauf.
    Wieviel davon war Wirklichkeit, wieviel Halluzination gewesen? Zwölf Jahre ständig wiederholten Nachdenkens darüber hatten Andy McGee der Antwort auf diese Frage nicht nähergebracht. Einmal hatte er geglaubt, Gegenstände durch den Raum fliegen zu sehen, als bliese ein unsichtbarer Wind – Pappbecher, Handtücher, eine Manschette zum Blutdruckmessen, ein tödlicher Hagel von Bleistiften und anderen Schreibgeräten. Zu einem späteren Zeitpunkt (Oder war es in Wirklichkeit früher gewesen? Es gab einfach keinen linearen Zeitablauf.) hatte eine der Testpersonen Muskelkrämpfe erlitten, denen Herzstillstand folgte – wenigstens dem Anschein nach. Es hatte aufgeregte Bemühungen gegeben, ihn durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederzubeleben. Dann hatte man ihm etwas direkt in die Brusthöhle injiziert und endlich eine Maschine eingesetzt, die ein schrilles jaulendes Geräusch von sich gab und an der mit dicken Drähten zwei Gegenstände befestigt waren, die wie schwarze Schröpfköpfe aussahen. Andy meinte sich zu erinneren, auch einen der »Assistenten« gesehen zu haben, der laut brüllte: »Schnell! Beeilen Sie sich doch! Oh, verdammt, geben Sie mir die Dinger, Sie Idiot!«
    Dann wieder hatte Andy geschlafen, war dabei immer wieder halb zu Bewußtsein gekommen. Er sprach mit Vicky, und jeder berichtete dem anderen über sich selbst. Andy erzählte ihr von dem Autounfall, bei dem seine Mutter tödlich verunglückt war, und wie er das nächste Jahr bei seiner Tante verbracht hatte, vor Kummer einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie erzählte ihm, daß sie im Alter von sieben Jahren von einem halbwüchsigen Babysitter mißbraucht worden war und jetzt schreckliche Angst vor Sex hatte. Noch mehr fürchtete sie, daß sie frigide sein könnte, und das sei es auch gewesen, was den Bruch mit ihrem Freund herbeigeführt hatte. Er hatte sie immer wieder … bedrängt.
    Sie erzählten einander Dinge, die man sonst erst bespricht, wenn man sich jahrelang kennt… Dinge, über die Mann und Frau oft überhaupt nicht miteinander sprechen, nicht einmal bei gelöschtem Licht im Ehebett, nachdem sie schon jahrzehntelang zusammen waren.
    Sprachen sie aber?
    Das wußte Andy nicht.
    Die Zeit war stehengeblieben, aber irgendwie verging sie dennoch.
13
    Ganz allmählich erwachte er aus seinem Halbschlaf. Die Musik von Rachmaninov war nicht mehr zu hören … wenn es sie je gegeben hatte. Vicky schlief friedlich auf dem Bett neben ihm. Die Hände hatte sie zwischen den Brüsten gefaltet, die Hände eines Kindes, das beim Abendgebet eingeschlafen ist. Andy sah sie an, und ihm wurde klar, daß er irgendwann angefangen hatte, sie zu lieben. Es war ein tiefes und umfassendes Gefühl. Daran bestand kein Zweifel.
    Ein wenig später schaute er sich um. Einige der Betten waren leer Im Raum befanden sich vielleicht noch fünf Probanden. Einige schliefen. Einer saß aufrecht im Bett, und ein Assistent – ein völlig normaler Assistent von etwa fünfundzwanzig Jahren befragte ihn und machte auf einem Block Notizen. Der Proband hatte wahrscheinlich eben etwas Komisches gesagt, denn beide lachten – leise und rücksichtsvoll, wie man es tut, wenn andere schlafen.
    Andy setzte sich auf und machte für sich eine Bestandsaufnahme. Er fühlte sich gut. Er versuchte ein Lächeln und fand, daß es vollkommen angebracht war. Seine Muskeln waren entspannt, und er fühlte sich frisch und munter. Seine Wahrnehmung schien geschärft, und er kam sich irgendwie unschuldig vor. Dieses Empfinden kannte er aus seiner Kindheit, wenn er an einem Samstagmorgen aufwachte und wußte, daß sein Fahrrad in der Garage stand. Es

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