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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatte) heruntergelassen war, was dem Haus ein unbewohntes und geheimnisvolles Aussehen gab, das ihm gar nicht gefiel. Ließ sie gewöhnlich die Jalousie herunter? Vielleicht, um die Sommerhitze nicht eindringen zu lassen? Er wußte es nicht. Er erkannte plötzlich, wie wenig er über ihr Leben während seiner Abwesenheit wußte.
    Er griff nach dem Türknopf, aber er ließ sich nicht drehen; er glitt ihm nur durch die Finger. Schloß sie immer die Tür ab, wenn sie fortging? Das glaubte er nicht. Das sah Vicky nicht ähnlich. Seine Unruhe – nein, es war jetzt Entsetzen – wurde größer. Und doch gab es einen Augenblick (er würde es sich später nie eingestehen), einen winzigen Augenblick, da er nichts empfand als den Impuls, sich von der verschlossenen Tür abzuwenden. Einfach wegzurennen. Vicky hin, Charlie her, und ganz gleich, wie schwach später die Rechtfertigung ausfallen würde.
    Einfach rennen.
    Statt dessen griff er in die Tasche nach seinen Schlüsseln.
    In seiner Nervosität ließ er sie fallen und mußte sich nach ihnen bücken – die Wagenschlüssel, der Schlüssel zum Ostflügel der Prince Hall, der schwärzliche Schlüssel, mit dem er nach jedem Sommeraufenthalt die Kette vor Großvaters Zufahrt anschloß. Komisch, wie Schlüssel sich ansammelten.
    Er suchte den Haustürschlüssel aus dem Bund und schloß auf. Er trat ein und zog die Tür hinter sich zu. Das Licht im Wohnzimmer war ein gedämpftes, häßliches Gelb. Es war heiß. Und still. O Gott, es war so still.
    »Vicky?«
    Keine Antwort. Und keine Antwort bedeutete, daß sie nicht hier war. Sie hatte ihre Boogie-Schuhe angezogen, wie sie sie gern nannte, und war einkaufen gegangen. Oder jemanden besuchen. Außer, daß keins von beidem der Fall war. Davon war er überzeugt. Und seine Hand, seine rechte Hand … warum klopfte es so in den Fingern?
    »Vicky!«
    Er ging in die Küche. Dort stand ein kleiner Tisch mit drei Stühlen. Er, Vicky und Charlie frühstückten meistens in der Küche. Einer der Stühle war umgefallen und lag jetzt auf der Seite wie ein toter Hund. Das Salzfaß war umgestoßen worden, und Salz lag auf dem Tisch verstreut. Ohne daß ihm sein Tun bewußt wurde, nahm er etwas davon zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand und warf es über die Schulter nach hinten. »Salz, Salz, Malz, Malz, Unglück bleib draußen«, murmelte er leise, wie es sein Vater und sein Großvater vor ihm getan hatten.
    Auf der Heizplatte stand ein Topf mit Suppe. Sie war kalt. Die leere Suppendosis stand auf der Anrichte. Essen für eine Person. Aber wo war sie?
    »Vicky!« brüllte er die Treppe hinunter. Es war dunkel unten. Dort lagen der Wäscheraum und ein weiteres großes Zimmer, die sich zusammen über die ganze Front des Hauses erstreckten.
    Keine Antwort.
    Noch einmal sah er sich in der Küche um. Ordentlich und aufgeräumt. Zwei Zeichnungen von Charlie, die sie im Juli während der Ferien in der Bibelschule gemacht hatte, waren mit kleinen Plastikscheiben, auf denen Gemüse abgebildet war, am Kühlschrank befestigt. Auf einem Spieß steckten Strom und Telefonrechnung. Am Sockel stand das Motto DIESE ZULETZT BEZAHLEN. Alles an seinem Platz und für alles einen Platz.
    Außer daß der Stuhl umgefallen war. Außer daß Salz verschüttet war.
    Er hatte keinen Speichel im Mund, gar keinen. Sein Mund war so trocken wie Chrom in der Sommersonne.
    Andy ging nach oben, schaute in Charlies Zimmer, ging ins Schlafzimmer, ins Gästezimmer. Nichts. Er ging in die Küche zurück, schaltete das Treppenlicht an und ging nach unten. Ihre Waschmaschine der Marke Maytag war geöffnet. Die Trok-kenschleuder starrte ihn mit ihrem gläsernen Bullauge an. Zwischen beiden hing ein Sticktuch an der Wand, das Vicky irgendwo gekauft hatte; es trug die Aufschrift LIEBLING, SICH WASCHEN MACHT SPASS.
    Er ging in das große Zimmer und tastete nach dem Lichtschalter, strich mit den Fingern über die Wand und hatte die verrückte Gewißheit, daß sich jeden Augenblick fremde, kalte Finger auf seine legen und sie an den Schalter heranführen würden. Endlich fand er den Schalter, und die Leuchtstoffröhren an der Decke erwachten zum Leben.
    Ihm gefiel dieses Zimmer. Hier hatte er sich oft aufgehalten, um irgendwelche Sachen zu reparieren, und dabei hatte er oft lächeln müssen, denn er war all das geworden, was jeder Universitätsabsolvent niemals werden will. Sie waren oft hier unten gewesen. Es fehlte weder ein in der Wand eingebautes Fernsehgerät noch ein

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