Feuerkind
gelegenen Privaträumen. Sein Telefon war mit einem Zerhacker ausgerüstet. Payson rief Virginia an. Er brauchte Anweisungen.
9
Es gab und gibt kein Postamt in Bradford, New Hampshire (übrigens auch nicht in Tashmore, Vermont); beide Ansiedlungen waren zu klein. Das Bradford am nächsten gelegene Postamt befand sich in Teller, New Hampshire. Um ein Uhr fünfzehn nachmittags an diesem zehnten März hielt das kleine Postauto aus Teller vor der Gemischtwarenhandlung, und der Briefträger leerte den Kasten neben dem Haus, wo Jake bis 1970 noch eine kleine Zapfanlage für Benzin betrieben hatte. Die eingesteckte Post bestand aus Andys sechs Briefen und einer Postkarte von Miss Shirley Devine, einer fünfzig Jahre alten ledigen Dame an ihre Schwester in Tampa, Florida. Auf der anderen Seite des Sees schlief Andy McGee gerade, und Charlie McGee baute einen Schneemann.
Robert Everett, der Briefträger, stopfte die Post in einen Sack und warf diesen in seinen blauweißen Wagen. Dann fuhr er weiter nach Williams, einer anderen kleinen Stadt in Tellers Zustellbezirk. Dann wendete er mitten auf der Straße, die von den Einwohnern höhnisch Hauptstraße genannt wurde, und fuhr nach Teller zurück, wo man die Post sortieren und um drei Uhr weiterbefördern würde. Fünf Meilen außerhalb der Stadt parkte ein beigefarbener Chevrolet Caprice quer, so daß er beide Spuren blockierte. Everett parkte neben einer Schneeverwehung und stieg aus, um zu sehen, ob er helfen konnte.
Zwei Männer kamen vom Wagen her auf ihn zu. Sie zeigten ihm ihre Ausweise und erklärten ihm ihren Wunsch.
»Nein!« sagte Everett. Er lachte, und es hörte sich so ungläubig an, als hätte ihm jemand erzählt, am Tashmore-Strand werde noch heute nachmittag die Badesaison eröffnet.
»Wenn Sie Zweifel haben, ob wir diejenigen sind, für die wir uns ausgeben –« fing einer von ihnen an. Es war Orville Jamieson, gelegentlich als OJ, gelegentlich auch als The Juice bekannt. Es machte ihm nichts aus, sich mit diesem Trottel von Briefträger abzugeben; es gab überhaupt nichts, das ihm etwas ausmachte, solange seine Anweisungen ihn nur mindestens drei Meilen von diesem höllischen kleinen Mädchen entfernt hielten.
»Nein, darum geht es nicht; darum geht es überhaupt nicht«, sagte Robert Everett. Er hatte Angst, die Angst, die vielleicht jeder hat, wenn er direkt mit der Staatsmacht konfrontiert ist, wenn die Bürokratie, die sonst alles anonym erzwingt, plötzlich ein richtiges Gesicht annimmt, wie etwas, das aus einer Kristallkugel hervorsteigt und erbarmungslos Gestalt annimmt. Dennoch war er entschlossen. »Aber, was ich hier habe, ist die Post. Die Post der Vereinigten Staaten. Das müssen Sie verstehen.«
»Diese Angelegenheit berührt die nationale Sicherheit«, sagte OJ. Nach dem Fiasko in Hastings Glen war eine Schutzabsperrung um die Mandersfarm gelegt worden. Das Grundstück und die Reste des Hauses waren genau abgesucht worden. Deshalb hatte er auch seinen Revolver wiederbekommen, der jetzt bequem in seinem Schulterhalfter steckte.
»Das sagen Sie, aber das genügt mir nicht«, sagte Everett.
OJ knöpfte seinen Carol-Reed-Parka auf, so daß Robert Everett den Revolver sah. Everetts Augen weiteten sich, und OJ lächelte freundlich. »Sie wollen doch nicht, daß ich das Ding heraushole?«
Everett konnte das Ganze nicht glauben. Er versuchte es ein letztes Mal. Kennen Sie die Strafe für Raub von Post der Vereinigten Staaten? Dafür gehen Sie nach Leavenworth, Kansas.«
»Das können Sie mit Ihrem Postmeister klären, wenn Sie wieder in Teller sind«, sagte der andere Mann, der sich zum ersten Mal einmischte. »Und jetzt Schluß mit dem verdammten Unsinn. Geben Sie uns den Sack mit der Landpost.«
Everett gab ihm den kleinen Sack mit der Post aus Bradford und Williams. Sie öffneten ihn gleich auf der Straße und sortierten ungerührt den Inhalt. Robert Everett empfand Wut und eine Art Scham. Was sie taten, war unrecht, selbst wenn er die Geheimnisse der Atombombe in seinem Postsack hatte. Am Straßenrand die Post der Vereinigten Staaten zu öffnen, war unrecht. Merkwürdigerweise fühlte er sich ungefähr so, wie er sich gefühlt hätte, wenn ein fremder Mann in sein Haus eingedrungen wäre und seine Frau ausgezogen hätte.
»Davon werden Sie noch hören«, sagte er mit erstickter und ängstlicher Stimme. »Sie werden schon sehen.«
»Hier sind sie«, sagte der andere zu OJ. Er gab ihm sechs Briefe, die alle in derselben sauberen
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