Feuerklingen (First Law - Band 2)
entdecken außer ruhigem Wasser, das bis zum flachen Horizont hin glitzerte. »Und noch immer kein gurkhisisches Schiff in Sicht.«
Vissbruck räusperte sich. »Mit dem allergrößten Respekt …«
Was wohl heißen soll, dass Sie keinen haben.
»Die Gurkhisen waren nie ein Seefahrervolk. Gibt es Grund zu der Annahme, dass sie seit neuestem Schiffe besitzen?«
Es ist lediglich eines Nachts ein alter Zauberer in meinen Gemächern aufgetaucht und hat mich vor Schiffen gewarnt.
»Nur weil man etwas nicht sieht, heißt es ja nicht, dass es nicht existiert. Der Imperator hat uns jetzt ohnehin schon in die Enge gedrängt. Vielleicht hält er seine Flotte noch in der Hinterhand, wartet auf einen günstigeren Augenblick und will uns nicht sein ganzes Blatt zeigen, solange er nicht dazu gezwungen ist.«
»Aber mit Schiffen könnten sie eine Blockade errichten, uns aushungern und unsere Verteidigungsanlagen umgehen! Er hätte all diese Soldaten nicht verschwenden müssen …«
»Wenn der Imperator von Gurkhul eines im Übermaß hat, Herr General, dann sind es weitere Soldaten. Sie haben eine Bresche geschlagen, die ihnen das Eindringen ermöglicht.« Glokta ließ den Blick über die Mauern gleiten, bis er die zweite Schwachstelle entdeckt hatte. Die Risse in der Wand waren an der Innenseite bereits deutlich zu erkennen. Das Mauerwerk war mit schweren Bohlen abgestützt, und man hatte Schutt dagegengehäuft, aber dennoch neigte es sich jeden Tag mehr nach innen. »Und bald werden sie eine zweite haben. Sie haben den Graben an vier Stellen zugekippt. Auf unserer Seite hingegen schwindet die Truppenstärke ebenso wie die Moral. Sie brauchen keine Schiffe.«
»Aber wir haben welche.« Glotka bemerkte überrascht, dass der General dicht an ihn herangetreten war und nun leise und drängend sprach, während er ihm direkt in die Augen sah.
Wie ein Mann, der einen Heiratsantrag vorbringen – oder zum Verrat auffordern will. Was von beiden mag es wohl sein?
»Es ist immer noch Zeit«, raunte Vissbruck, und seine Augen glitten nervös zur Tür und wieder zurück. »Wir beherrschen die Bucht. Solange wir die Unterstadt noch halten, halten wir auch die Kais. Wir können die Unionskräfte abziehen. Zumindest die Zivilisten. In der Zitadelle sind noch einige Frauen und Kinder der Offiziere, ein paar Kaufleute und Handwerker, die sich in der Oberstadt niedergelassen hatten, und die noch zögern, die Stadt zu verlassen. Es könnte ganz schnell erledigt werden.«
Glokta runzelte die Stirn.
Möglicherweise stimmt das, aber die Befehle des Erzlektors lauten anders. Die Zivilisten können selbst bestimmen, was sie tun. Aber die Truppen der Union gehen nirgendwo hin. Außer auf ihre Scheiterhaufen natürlich.
Vissbruck betrachtete sein Schweigen jedoch als Zustimmung. »Wenn Sie mir einen entsprechenden Befehl geben, dann könnte alles bis zum Abend erledigt sein, und alle wären verschwunden, bevor …«
»Und was stünde uns wohl bevor, Herr General, wenn wir wieder den Boden der Union betreten würden? Ein tränenreiches Wiedersehen mit unseren Oberbefehlshabern im Agriont? Einige von uns würden sicher Grund zum Weinen haben, da bin ich überzeugt. Oder meinen Sie, wir sollten die Schiffe nehmen und in die weite Ferne fahren, nach Suljuk vielleicht, und dort unser langes Leben friedlich beschließen?« Glokta schüttelte langsam den Kopf. »Es ist eine hübsche Idee, aber mehr auch nicht. Unser Befehl ist es, die Stadt zu halten. Eine Kapitulation kommt nicht infrage. Kein Rückzug. Kein Schiff in die Heimat.«
»Kein Schiff in die Heimat«, wiederholte Vissbruck bitter. »Während die Gurkhisen jeden Tag näher rücken, unsere Verluste sich erhöhen und der niederste Bettler in der Stadt sehen kann, dass wir die Landmauer nicht viel länger werden halten können. Meine Männer stehen kurz vor einer Meuterei, und auf die Söldner ist vergleichsweise sogar noch weniger Verlass. Was soll ich ihnen sagen, was schlagen Sie vor? Dass laut Befehl des Geschlossenen Rates ein Rückzug nicht infrage kommt?«
»Sagen Sie ihnen, dass wir jeden Tag Verstärkung erwarten.«
»Das sage ich ihnen schon seit Wochen!«
»Dann sollten ein paar weitere Tage ja keinen Unterschied machen.«
Vissbruck blinzelte. »Und dürfte ich wohl fragen, wann die Verstärkung tatsächlich eintreffen wird?«
»Wir rechnen täglich damit.« Gloktas Augen verengten sich. »Bis dahin harren wir aus.«
»Aber warum?« Vissbrucks Stimme wurde hoch wie die eines
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