Feuerklingen (First Law - Band 2)
zur Zelttür.
»Was ist, wenn er …«
»Lassen Sie sich etwas einfallen!«, schnauzte er. Jetzt ging es um mehr als um das Leben eines Einzelnen. Er duckte sich unter der Tür hindurch in die kalte Luft. Mindestens zwanzig Offiziere und Wachleute waren auf dem Befehlsstand vor dem Zelt versammelt, deuteten ins verschneite Tal, linsten durch Fernrohre und raunten einander kurze Bemerkungen zu. »Korporal Pike!« West winkte den Sträfling zu sich heran, der daraufhin durch den fallenden Schnee zu ihm hinüberstapfte. »Ich brauche Sie hier als Wachposten, verstanden?«
»Natürlich, Herr Oberst.«
»Sie werden diese Tür bewachen und niemanden hineinlassen außer mir und Hauptmann Jalenhorm. Niemanden.« Er senkte die Stimme. »Unter keinen Umständen.«
Pike nickte, und seine Augen glitzerten in dem formlosen Gesicht. »Ich verstehe.« Damit schritt er zur Zelttür hinüber und nahm lässig daneben Aufstellung, die Daumen in den Schwertgurt gehakt.
Kurz darauf preschte ein Pferd den Abhang zum Hauptquartier hinauf. Dampf quoll aus seinen Nüstern. Der Reiter sprang aus dem Sattel und war schon ein paar Schritte weit gekommen, als West sich ihm in den Weg stellen konnte.
»Eine dringende Nachricht von General Poulder an Marschall Burr!«, sprudelte der Mann hervor. Er versuchte, noch einen Schritt zum Zelt zu tun, aber West ging ihm nicht aus dem Weg.
»Marschall Burr ist beschäftigt. Sie können die Nachricht mir übergeben.«
»Mir wurde ausdrücklich gesagt …«
»Mir, Herr Hauptmann!«
Der Mann blinzelte. »General Poulders Division wird bedrängt, Herr Oberst, oben in den Wäldern.«
»Bedrängt?«
»Sehr sogar. Es gab einige heftige Angriffe am linken Flügel, und wir haben Mühe, uns selbst zu verteidigen. General Poulder bittet um die Erlaubnis, sich zurückziehen und die Truppe neu formieren zu dürfen, Herr Oberst, da alle geplanten Positionen verloren wurden!«
West schluckte. Schon jetzt begann sich der Plan aufzulösen und lief Gefahr, gänzlich zu scheitern. »Rückzug? Nein! Unmöglich. Wenn er sich zurückzieht, bleibt Kroys Division ungeschützt. Sagen Sie General Poulder, er soll standhalten und den Angriff durchführen, sobald es ihm irgend möglich ist. Sagen Sie ihm, dass er unter keinen Umständen den Rückzug antreten darf! Jeder Mann muss seinen Teil beitragen!«
»Aber Herr Oberst, ich sollte …«
»Gehen Sie!«, schnauzte West. »Sofort!«
Der Mann grüßte und zog sich wieder auf sein Pferd. Noch während er sein Tier den Hügel hinauflenkte, hielt ein weiterer Reiter auf das Zelt zu. West fluchte unterdrückt. Es war Oberst Felnigg, Kroys Stabschef. Der würde sich nicht so leicht abwimmeln lassen.
»Oberst West«, herrschte er ihn kurz angebunden an, als er sich aus dem Sattel schwang. »Unsere Division kommt auf ganzer Linie heftig in Bedrängnis, und jetzt sind am rechten Flügel auch noch Reiter aufgetaucht! Ein Kavallerieangriff gegen ein Regiment Einberufene!« Er strebte bereits dem Zelt zu und zog sich die Handschuhe aus. »Ohne Unterstützung werden sie nicht lange durchhalten, und wenn sie nachgeben, dann ist unsere Flanke verloren! Es könnte das Ende sein! Wo, zur Hölle, bleibt Poulder?«
West versuchte erfolglos, Felnigg aufzuhalten. »General Poulder wird selbst angegriffen. Aber ich werde sofort veranlassen, dass die Reserve Ihnen zur Seite …«
»Das reicht nicht«, knurrte Felnigg, drängte sich an ihm vorbei und schritt auf die Zelttür zu. »Ich muss sofort mit Marschall Burr spre…«
Pike trat ihm in den Weg, die eine Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt. »Der Marschall … ist beschäftigt«, flüsterte er. Die Augen traten ihm auf so entsetzliche Weise und derartig drohend aus dem verbrannten Gesicht, dass sogar West leicht beklommen zumute wurde. Für kurze Zeit herrschte angespanntes Schweigen, während sich der Stabsoffizier und der gesichtslose Sträfling anstarrten.
Dann trat Felnigg zögernd einen Schritt zurück. Er blinzelte und fuhr sich nervös über die Lippen. »Beschäftigt. Ich verstehe.« Er machte noch einen Schritt rückwärts. »Sie werden die Reserve zur Unterstützung schicken?«
»Unverzüglich.«
»Nun gut, dann … Ich werde General Kroy mitteilen, dass er mit Verstärkung rechnen kann.« Felnigg schob eine Zehe in seinen Steigbügel: »Das ist allerdings höchst ungehörig.« Er sah finster zum Zelt, zu Pike, zu West. »Höchst ungehörig.« Damit gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte ins Tal
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