Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Kirchenstraße und links in die Elisabethstraße. Die endet direkt an der
Medusastraße. Ist nicht mehr weit.«
Mielke
fährt im Schritttempo weiter. Es geht an vierstöckigen Häuserreihen vorbei, wo
sich ein morbider Backsteinbau an den nächsten reiht, trist und schmutzig. Sie
wurden für die Arbeiter der Werftindustrie um 1900 erbaut. An einem Baum am
Straßenrand lehnen drei heimatlose Gestalten, bis unter die Zähne mit Bierdosen
bewaffnet. Für einen erfahrenen Kriminalisten riecht es in diesem Viertel nach
Dealern und anderen Gaunern. Swensen erinnert sich, gelesen zu haben, dass in
Gaarden ein Drittel des in Schleswig-Holstein aufgespürten Rauschgiftes
beschlagnahmt wird. Die meisten Läden in den unteren Etagen sind bereits
geschlossen. Vereinzelt ein Bäcker, die obligatorischen Döner-Grills, türkische
Gemüsehändler oder Fleischer. Sie biegen rechts in die Medusastraße. Mielke
entdeckt einen leeren Parkplatz und setzt den VW Golf IV ohne Probleme
rückwärts in die Lücke. Nummer 12 ist ein Jugendstilhaus mit dekorativen
Ornamenten, frisch gestrichen in hellem Rosa. Die beiden Kommissare gehen quer
über die Straße auf den Hauseingang zu. An der Litfasssäule klebt ein Plakat
des Akkordeonspielers Hubert von Goisern, der am gestrigen Abend in der
Ostseehalle ein Konzert gegeben hat. Swensen besitzt seine Tibet-CD. Die
Fenster im Treppenhaus sind an den Rändern mit grünem Glas verziert. Gibeon
Kabir wohnt im zweiten Stock. Mielke klingelt. Die Tür öffnet sich. Der
mittelgroße Mann guckt verdutzt und überlegt.
»Kripo
Husum! Sie erinnern sich?«
Der
Mann nickt.
»Wir
haben noch ein paar Fragen an Sie, Herr Kabir. Es geht nochmal um den
Kommilitonen Ramin Behzad.«
»Ich
hab alles gesagt«, stößt Kabir hervor. In seinen Augen zeichnet sich Angst ab.
»Hat
man Sie bedroht?«, fragt Swensen mit Nachdruck.
»Nein!
Aber ich hab gelesen, dass Razak sich mit einer Bombe getötet hat.«
»Deswegen
sind wir hier«, sagt Swensen. Er tippt Mielke an und der zieht drei Fotos aus
der Jackentasche. Kabir nimmt sie widerwillig in die Hand.
»Sie
kennen Vahid Parvez, Hadi Abdi und Ramin Behzad aus dem Studentenheim. Wussten
Sie, dass die drei auf der Liste für Terrorverdächtige stehen, dass
international nach ihnen gefahndet wird?
»Nein!
Woher soll ich das wissen?«
»Haben
Sie einen der drei nach dem Studium nochmal gesehen?«
»Nein,
wir waren nicht eng befreundet.«
»Wie
eng war das Verhältnis der drei zu Razak Sabet?«
»Die
waren alle fast immer zusammen.«
»Wissen
Sie, ob sie besonders religiös waren?«
»Ja,
Behzad war eine treibende Kraft, die den Gebetsraum an der Uni durchgesetzt
hat. Ich hab sie nie Alkohol trinken sehen, und der Koran schien ihnen
wichtiger zu sein als die Lehrbücher.«
»Der
Streit mit dem Kommilitonen Hafside, wie kam es dazu?«
»Habib
war ein kluger Mensch! Nicht nur im Studium, auch allgemein. Habib hat Ramin
öfter mit seinem Wissen gehänselt, besonders wenn der ihn von seinem Unglauben
überzeugen wollte. Einmal, als Ramin ihm sagte, dass nur ein tiefgläubiger
Mensch auch ein guter Mensch ist, hat Habib provokativ Kant zitiert. Irgend so
etwas wie, der Mensch hat einen natürlichen Hang zum Bösen, weil er die
Freiheit hat, böse zu sein !«
»Und
das mit der KDW! Da gab es dann Streit, richtig handgreiflich?«
»Nein,
hab ich doch schon erzählt. Nur beinah, die beiden haben sich nicht richtig
geschlagen. Ramin hat Habib angeschrien: ›Der Staat Israel ist für uns Muslime
eine Existenzfrage. Israel ist ein zionistischer Fremdkörper im Herzen der
gesamten islamischen Welt, er darf unter keinen Umständen bestehen bleiben. Und
du baust in so einer Lage U-Boote für den Feind!‹«
»Und
dann?«
»Danach
sind sie sich aus dem Weg gegangen. Habib war sowieso selten in dem
Gebetsraum.«
»Sind
Sie gläubiger Muslim?«
»Ich
geh ab und zu zum Freitagsgebet.«
»Wovon
leben Sie?«, fragt Swensen.
»Bin
ich jetzt schon verdächtig, nur weil ich beten geh? Typisch, wer betet, ist
Terrorist! Seit dem 11. September sind alle Menschen mit schwarzen Haaren Terroristen!«
»Sie
haben das völlig falsch verstanden, Herr Kabir. Für uns sind das die üblichen
Routinefragen. Also, arbeiten Sie?«
»Ja,
ich arbeite als freier Journalist für eine deutsche Zeitung.«
»Das
war’s auch schon«, beendet Swensen abrupt die Befragung. »Viel Erfolg in Ihrem
Beruf und auf Wiedersehen.« Er spürt ein leichtes Kratzen im Hals. Etwas sagt
ihm, dass er es
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