Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
erinnert sich, dass das Auto
weggefahren war. Das muss schon länger her sein. Ist er im Moment mit dem Mann
allein? Mit einem Mal ist er hellwach.
»Machen
Tür auf!«
Er
greift zur Klinke, drückt sie herunter und stößt die Tür auf. Angenehm kühle
Luft weht ihm entgegen. Es ist Nacht. Von den blanken Kopfsteinen im Hof wird
ein milchiges Licht reflektiert. Fünfzig Meter vis-a-vis steht ein kleiner
Holzschuppen, darüber steht der Vollmond.
»Hin
da!«, befiehlt die Stimme in seinem Rücken. Die Hand auf der Schulter drückt
ihn vorwärts.
Jeder
Schritt ist zu hören. Bis jetzt sind sie aus seinem Raum bis hier in den Hof
immer geradeaus gegangen. Das bedeutet, die Bahnstrecke muss direkt hinter mir
sein, denkt er.
Das
Mondlicht ist so hell wie eine Straßenlampe. Vorsichtig tasten seine Augen das
Umfeld ab. Vor dem Schuppen steht eine große Tonne, daneben leere, zerfallene
Holzkisten, Gartenwerkzeug und ein Spaten. In diesem Moment klingelt ein Handy,
gleich hinter ihm. Er hört den Mann hinter sich aufstöhnen. Gleichzeitig fühlt
er, wie sich der Druck des Pistolenlaufs lockert und verschwindet. Eine
allgewaltige Kraft bäumt sich in ihm auf. Seine Gedanken stehen still. Mit
einem Satz stürmt er los, packt den Griff des Spatens. Erst in der Drehung
sieht er den Umriss einer Gestalt. Das blanke Metall fliegt durch die Luft und
trifft den Mann mit der flachen Seite voll an der rechten Kopfhälfte. Der
dumpfe Schlag vibriert bis in die Finger, mit denen er den Holzgriff
umklammert. Ein Schuss löst sich. Die Kugel bohrt sich in die Schuppenwand.
Gleichzeitig stürzt sein Peiniger taumelnd zur Seite und bleibt auf dem Rücken
liegen. Der zweite Schlag trifft das Gesicht. Unterhalb der Nase sickert
Feuchtigkeit in die schwarze Wolle der Maske. Der Maskierte bleibt regungslos
liegen. Ihm fällt der Spaten aus der Hand, als stünde dieser unter Strom. Er
kann den Ausbruch seiner Gewalt nicht fassen, will nur noch weg. Wie benommen
dreht er sich um und beginnt zu laufen, am großen Reetdachhaus vorbei, in dem man
ihn gefangen hielt, durch eine Gruppe mächtiger Eichenbäume auf eine Wiese
hinaus, die gleich hinter dem Grundstück beginnt. Erschreckt erheben sich
einige Kühe schwerfällig und traben davon. Er hat keine Ahnung, wo er sich
befindet. Irgendwo auf dem Land, weit außerhalb von Kiel. Nirgendwo ein Haus in
Sicht, nur flache Weiden und vereinzelte Baumgruppen und Sträucher. Vor ihm
muss die Bahnstrecke entlangführen, da ist er sich sicher.
Wenn
du entkommen willst, darfst du auf keinen Fall eine Straße benutzen, warnt eine
innere Stimme. Dort könnten sie dich schnell entdecken und wieder einfangen.
Er
sieht die Kampfszene am Schuppen wieder vor sich, hört den Schuss, der ihn
zusammenschrecken ließ. Und siedendheiß kommt ihm ein beunruhigender Gedanke.
Du
Idiot, warum hast du die Waffe nicht mitgenommen? Jetzt ist es zu spät! Du
kannst unmöglich zurück.
Mit
ausholenden Schritten stürmt er voran. Der Atem geht schwer. Er ist diese
körperliche Anstrengung nicht mehr gewohnt. Die Mondnacht ist sein Glück, er
kann gut sehen, wohin er tritt. Einen kurzen Moment hält er zum Verschnaufen
inne und blickt dabei ängstlich zurück. Keiner ist gefolgt. Das Haus ist
bereits ziemlich weit entfernt, er schätzt mehrere hundert Meter. Nur zwei
erleuchtete Fenster sind von hier noch auszumachen. Er rennt besinnungslos
weiter. Ein Graben versperrt ihm den Weg. Eine kurze Konzentration auf die
Beine und dann springt er in einem mächtigen Satz hinüber. Weiter. Wieder ein
Graben. Sprung. Weiter, über die Schottersteine auf dem Bahndamm. Er balanciert
über die Gleise und geht hinter dem Bahndamm in Deckung. Jetzt ist er sicher,
dass ihn vom Haus aus niemand mehr sehen kann.
In
der kurzen Zeit ist der Kerl bestimmt nicht zu sich gekommen, denkt er. Aber
wohin jetzt? Rechts oder links? Nach rechts!
Er
stolpert in geduckter Haltung den Bahndamm entlang. Der Untergrund ist extrem
uneben. Vorsichtig setzt er einen Schritt vor den anderen, um nicht zu
straucheln. In der Ferne sieht er Autolichter auftauchen. Sie schweben in einem
weiten Bogen durch die Dunkelheit und kommen langsam näher. Jetzt kann er das
Auto erkennen. Es fährt in einiger Entfernung auf der Straße parallel zum
Bahndamm an ihm vorbei. Auf Höhe des Hauses, das er nur noch als vagen Umriss
erahnen kann, bremst der Wagen ab, biegt von der Straße und verschwindet. Wenig
später tauchen die Lichter wieder auf. Sie schimmern durch die
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