Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Lokführerin bei der Nord-Ostsee-Bahn beworben und war gleich in die
engere Wahl gekommen. Die Ausbildung über den zweiten Bildungsweg war eine
knallharte Zeit gewesen, büffeln, büffeln, büffeln. Der Lehrgang wurde in sechs
Monaten durchgezogen. Nach dem Abschluss folgte die praktische Streckenkunde
mit einem erfahrenen Lokführer zwischen St. Peter Bad und Husum und danach der
Sprung ins kalte Wasser.
Noch
ist jede Fahrt für sie mit reichlich Anspannung verbunden. Schließlich liegt
die Sicherheit der Fahrgäste in ihrer Verantwortung. Auch nach einem halben
Jahr Dienst ist der tägliche Pendelverkehr nicht zur Routine geworden.
Gerade
nachts erscheint ihr die Fahrt auf schnurgerader Strecke manchmal zu schnell.
Deshalb schielt sie ab und zu mit einem Auge zur Geschwindigkeitsanzeige, die
digital auf dem schrägen Bildschirm in der Mitte des Armaturenbretts leuchtet.
Jetzt zeigt eine Tafel an der Strecke an, dass hier keine Höchstgeschwindigkeit
gefahren werden darf. Es gibt kurz hintereinander zwei Überwege ohne Blinklicht
für Landfahrzeuge. Mit dem Fahrschalter drosselt sie den Zug auf dreißig
Stundenkilometer herunter und drückt jeweils zweimal den Knopf für den
Warnpfiff, als die weiße Tafel mit dem schwarzen ›P‹ für Pfeiftafel rechts
neben dem Gleis vorbeihuscht. Gleich danach muss sie wieder die Sifa (Sicherheitsfahrschaltung) betätigen, sonst leitet die Technik an Bord eine
automatische Zwangsbremsung ein. Ein alter Eisenbahner hatte ihr mal erzählt,
dass damals, beim Umstieg von den Dampfloks auf Diesel und Elektrik, die Sifa spöttisch der Totmannknopf genannt wurde. Frei nach dem Motto: Lokführer
am Boden tot, Zug bremst ab, in höchster Not.
Vor
einem leichten Rechtsknick steht das Signal, dass es noch tausend Meter bis zum
Bahnübergang sind. Direkt davor liegt die Bedarfshaltestelle Harblek. Schon
kann sie das Licht sehen, wie es durch die Dunkelheit langsam heranschwebt.
Ein
Fahrgast! So spät? Um diese Zeit musste ich hier noch nie halten, denkt sie und
bremst den Zug langsam ab. Obwohl sie sich nicht als ängstliche Person
betrachtet, spürt sie ein Unwohlsein in der Magengegend. Bevor der Zug zum
Stehen kommt, verschließt sie von innen kurzerhand die Plexiglastür zum
Führerstand und zieht den Vorhang vor, so dass niemand vom Fahrgast-raum
hereinschauen kann. Dann öffnet sie das Fenster für den obligatorischen
Betriebsblick. Der Mann ist bereits eingestiegen. Sie will gerade das Fenster
wieder schließen, als wie aus dem Nichts zwei Männer hinter dem
Fahrradständerhäuschen auftauchen und zur ersten Einstiegstür stürmen. Einer
drückt auf den Kontaktpunkt. Die Zugtür öffnet sich. Schon sind sie im Inneren
verschwunden. Die Tür schließt automatisch. Sie drückt den Fahrschalter nach
vorn, wirft einen zweiten Blick auf den leeren Bahnsteig, und das Fahrzeug
kommt schwerfällig ins Rollen, rattert am weiß blinkenden Überwachungssignal
vorbei und kreuzt die Straße gleich hinter der Haltestelle. Sie sieht den roten
Lichtschein am Bahnübergang, der rhythmisch hinter den Andreaskreuzen
aufflammt. Der Triebwagen bekommt Fahrt, und es geht auf gerader Strecke weiter
zur nächsten Station Witzwort. Auf ihrer Instrumentenanzeige sieht sie, dass im
Fahrgastraum der Halteknopf gedrückt wurde.
Darf
ich denn heute gleich an jedem Kuhfladen anhalten, ärgert sie sich und leitet
erneut den Bremsvorgang ein.
Als
der Zug in Witzwort steht, erscheint ihr das alles ziemlich merkwürdig. Sie
öffnet das Seitenfenster und sieht die beiden Männer, die in Harblek zuletzt
zugestiegen sind, in langen Schritten über den kleinen Bahnsteig davoneilen.
Türken!
Was wollen die Typen denn nach zwölf noch in diesem Kuhkaff? Da sind doch schon
längst die Bürgersteige hochgeklappt.
Sie
betätigt den Knopf zum Türenschließen, drückt den Hebel nach vorn, wirft noch
einen kurzen Blick auf den Bahnsteig und schließt das Fenster. Die Bahn fährt
ein langes Stück parallel zur B 5, macht eine weite Rechtskurve und kreuzt die
verkehrsreiche Straße durch eine Halbschranke mit Blinklicht. Danach biegt die
Strecke scharf nach links. Die Schatten der ersten Einfamilienhäuschen fliegen
vorbei, und der Bahnhof von Husum kommt in Sicht. Der Zug läuft pünktlich auf
Gleis zwei ein. Es ist 00.23 Uhr. Der Bahnsteig ist leer.
»Husum,
Endstation!«, spricht sie ins Mikrofon. »Der Zug endet hier, bitte alle
aussteigen!«
Sie
dreht den Betriebsschlüssel der Lok nach links und zieht ihn ab,
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