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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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zerlumpten Kleidern hinter
einem Steinhaufen auf und warfen sich schreiend vor Angst auf den Boden. Der
Serschant breitete demonstrativ die Hände aus und redete beruhigend auf sie
ein. Er zog einige in Papier eingewickelte Bonbons aus der Jackentasche. Die
hielt er ihnen mit ausgestrecktem Arm entgegen.
     
    *
     
    »Kommandant!«, rief der Späher, als er über die Bergspitze gekommen war.
Der braunäugige Mann blinzelte unter seinem schlampig gewickelten Turban
hervor. Er trug gekreuzte Munitionsgurte über seinem Patous (Überhangsgewand) und hatte eine Kalaschnikow umgehängt. Mit den Händen packte
er zwei Jungen an den Armen und schob sie rechts und links vor sich her.
    »Die
sind mir direkt in die Arme gelaufen. Sie sagten, dass sie zu den Mudschaheddin
wollen!«
    Der
Angesprochene saß auf einem Stein und ließ beiläufig die Perlen seiner
Gebetskette durch die Finger der rechten Hand gleiten. Er war ein kräftiger,
hochgewachsener Mann mit auffälliger Raubvogelnase im ovalen Gesicht. Die
gebräunte Haut und der schwarze Vollbart machten ihn älter, als er in
Wirklichkeit war. Mur a d Paša musterte die ängstlichen Jungen, die barfuß in
zerrissener Kleidung vor ihm standen.
    »Was
wollt ihr?«, fragte er mit scharfer Stimme und musste gleichzeitig an seine
behütete Jugend denken.
     
    Er war im Wohlstand aufgewachsen, Sohn einer wohlhabenden ägyptischen
Familie, 1959 in Kairo geboren. Der Vater, ein erfolgreicher Unternehmer, der
damals Zitronen, Honig und Kamele exportiert hatte, war in kürzester Zeit
steinreich geworden. Das sorgenfreie Leben schien vorbestimmt zu sein, doch
sein Schicksal verlief anders als erwartet. 1978 entschied die Familie, ihn zum
Studium nach Deutschland zu schicken. Noch im gleichen Jahr hatte er sich in
Düsseldorf für den Fachbereich Chemie eingeschrieben. In der fremden Stadt war
er nie heimisch geworden, hatte sich von Anfang an nur entwurzelt gefühlt. Ein Babel,
hatte er damals gedacht, hier kann nur Satan persönlich leben. Dazu war kalter
Regen vom Himmel gefallen, und es gab diese Muschrikun (Ungläubigen),
die ihn am Abend in den leeren Straßen angerempelt hatten. Aus purem Hochmut,
wie er es empfunden hatte. Er musste den schlagartigen Verlust einer Lebensart
hinnehmen, die ihm Zeit seines Lebens vertraut gewesen war. Ehe er sich versah,
hatte er warme Pullover getragen, jonglierte mit einer Sprache, deren Worte mit
Lauten gespickt waren, bei dem der Mensch eine andere Zunge im Mund tragen
musste.
    Er
erinnerte sich genau an seine Ankunft, als er hungrig durchs Bahnhofsviertel
gezogen war. Hungrig, weil er nicht gewusst hatte, was er sagen musste, um in
einem dieser kleinen Läden etwas zu Essen zu bekommen. Irgendwann hatte er die
Idee gehabt, sich dicht hinter einen Deutschen zu stellen, um sich die Worte
seiner Bestellung einzuprägen. »Eine Frikadelle«, hatte er das Gehörte
wiederholt und bekam einen Fleischkloß. Nur wie einen Zweiten und Dritten
bekommen? Sich immer wieder in die Schlange einreihen und »eine Frikadelle«
sagen. Erst viel später erfuhr er, dass sie aus Schweinefleisch gewesen waren.
     
    Mur a d musste über seine Erinnerung unwillkürlich grinsen,
indem er nochmal die Absurdität der Situation begriff. Die beiden Jungen, die
bis dahin ehrfurchtsvoll zu ihm aufgeblickt hatten, nahmen das als
freundschaftliches Zeichen. Der Bann war gebrochen. Mit wild fuchtelnden Händen
brach ein Wortsalat aus ihnen heraus.
    »Unten
im Dorf!«, stammelte der eine los.
    »Nach
Südwesten!«, der andere hinterher.
    »Die
Ungläubigen!«
    »Zwanzig
Mann!«
    »Alle
schwer bewaffnet!«
    »Holt
euch Maisbrot und Milch«, sagte Mur a d zu den
Kindern und zeigte ihnen mit dem Finger, an wen sie sich wenden sollten. Danach
informierte er seine Männer und schickte den Russen zwei neue Späher hinterher.
Die anderen trieben die Transportpferde zusammen. In Windeseile wurden sie mit
Munitionskisten, Granaten, Panzerfäusten und Flab-Lenkwaffen beladen, während
einer die Tiere gleichzeitig mit Hafer fütterte. Ohne ein Wort zu verlieren
formierten sich die Männer mit den Pferden am Halfter in einer Reihe. Keine
zehn Minuten später führte der Kommandant seine achtzehnköpfige Guerillagruppe
eine steile Passhöhe hinauf. Der Fußmarsch ging über einen mit Geröll und
Gletschermoränen bedeckten Pfad. Die Pferde schnauften unter ihrer Last. Trotz
Sonnenschein war es in dieser Höhe empfindlich kalt. Plötzlich rieselten unten
im Tal Lichtblitze vom

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