Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Büsche und
Bäume, die das Haus umgrenzen. Das Auto muss auf dem Hof stehen. Die Lichter
erlöschen. Er richtet seinen Blick nach vorn, versucht noch schneller voran zu
kommen. Ein ziemlich breiter Graben kreuzt den Weg. Er muss auf die Brücke
klettern, über die der Zug fährt. Mit einem Mal sieht er im Augenwinkel, dass
sich auf der Straße etwas schemenhaft bewegt. Das Auto ist wieder da, fährt
ohne Licht im Schneckentempo vorbei. Blitzschnell wirft er sich flach auf den
Boden, hebt leicht den Kopf und guckt, ob sie ihn bemerkt haben. Nichts. Der
Wagen verschwindet langsam vor ihm im Dunkeln. Er bleibt eine längere Zeit
bewegungslos liegen.
Wie
spät mag es sein, denkt er. Ob der Zug noch fährt?
Zwischen
einer Baumgruppe sieht er winzige Lichter und den schattenhaften Umriss eines
länglichen Gebäudes. Er eilt darauf zu. Als er näher kommt, sieht er unzählige
Kühe davor liegen. Ein Kuhstall. Hinter einer Gruppe mächtiger Bäume fällt von
rechts ein Lichtschein auf die Koppel.
Dahinter
ist bestimmt ein Wohnhaus, denkt er. Ich sollte mich hinschleichen und
klingeln. Die Straße ist viel zu nah dran! Zu gefährlich! Wenn die dort im Auto
auf mich lauern!
Er
bleibt in sicherer Entfernung hinter einem Busch. Auch nach geraumer Zeit
bleibt alles ruhig, nur das Schnauben der Kühe ist zu hören. Rechts zwischen
den Bäumen brennt eine Bogenlampe. Er schleicht sich heran, indem er die
Deckung der Sträucher am Bahndamm nutzt, sieht eine schmale Asphaltrampe,
darauf eine graue Überdachung mit einer Holzbank. Rechts daneben steht ein
Häuschen mit einem leeren Fahrradständer. Hinter einem Tannenzweig lugt ein
blaues Schild hervor. Harblek!
Das
muss der Name der Bahnstation sein. Noch nie gehört. Keine Ahnung, wo ich mich
befinde.
*
Soweit sie sich zurückerinnern kann, wollte ihr großer Bruder immer
Lokomotivführer werden. Daraus wurde nichts. Heute arbeitet er als gewöhnlicher
Bankangestellter bei der NOSPA in Husum.
Sie
kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schadenfreude über den lieben
Ferdinand, den wilden, bulligen Jungen mit den drallen Armen und
Wurstfingerhänden, die die kleine Schwester immer herumgeschubst hatten. Ihre
ganze Kindheit war die reinste Hölle gewesen. »Mamas Liebling«, hatte er sie
unentwegt gehänselt, »Fußball spielen ist nichts für kleine Mädchen, geh doch
lieber zu deinen Puppen.«
Und
wer ist jetzt der Lokführer in der Familie? Ich! Während mein Bruder Ferdinand
Bleistifte anspitzt und dabei immer fetter wird.
Sie
schaut zur Bahnhofsuhr hinüber. Der Zeiger springt gerade auf 0.00 Uhr. In fünf
Minuten ist Abfahrt. Tönning ist ein Kopfbahnhof. Hier kreuzt sich die
eingleisige Strecke aus St. Peter mit der aus Husum. Der Lokführer muss deshalb
den hinteren Führerstand verlassen, den Passagierraum durchqueren und am
anderen Ende des Zuges den vorderen Führerstand in Betrieb nehmen. Die Bahn ist
leer. Um diese Zeit ist das üblich, spätestens in Tönning steigen die letzten
versprengten Fahrgäste aus.
Noch
drei Stationen bis Husum, dann ist Feierabend für heute, denkt sie und beißt
zufrieden in eine Käse-stulle, die sie in ihrem Rucksack dabei hat. Der VT 306
aus Husum, der schon seit ihrer Ankunft auf dem Nebengleis steht, ist genauso
leer. Mit dem Schlüssel startet sie die Maschine. Für den Betriebsblick öffnet
sie das Seitenfenster zum Bahnsteig. Dienstvorschrift. Einfach gucken, dass bei
der Abfahrt alle Türen geschlossen sind. Sie kuppelt mit der rechten Hand den
Fahrschalter aus und drückt den Hebel mit dem dicken Knauf nach vorn. Während
sie noch einen zweiten Blick aus dem Seitenfenster wirft, bringt der
Dieselmotor den Zug langsam in Bewegung. Sie setzt sich auf den Drehstuhl und
steuert den VT 306 mit dreißig Stundenkilometern aus dem Bahnhofsbereich. Der
erleuchtete Bahnsteig verschwindet, und es geht in einem weiten Bogen durch ein
Spalier von hohen Sträuchern in die Dunkelheit. Das Licht des Triebwagens
erweckt den Eindruck, als fahre sie durch einen milchigen Tunnel. Sie erhöht
das Tempo. Von der flachen Marschlandschaft links und rechts ist kaum etwas
wahrzunehmen. Nur manchmal huscht der Schatten eines geduckten Baumes vorbei,
vereinzelte Kühe oder Schafe werden vom Rand des Lichtscheins erfasst und
sausen aus ihrem Blickfeld nach hinten.
Schon
geraume Zeit bevor sich abzeichnete, dass private Betreiber die Nebenstrecken
der Bahn übernehmen werden, hatte sie sich als eine der ersten Frauen für eine
Stelle als
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