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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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zurollen, bis er in ihr verschwindet. Dann ist
nichts. Ihm ist, als wenn sein Inneres von außen beobachtet wird. Seine sonst
so wichtige Arbeit erscheint ihm seltsam unnütz und lächerlich. Er faltet die
Zeitung zusammen, klemmt sie unter den Arm und betritt den Döner-Laden am Ende
der Norderstraße. Im Laden gibt es mehrere Holztische mit Sitzbänken.
Verstaubte Plastikblumen stehen in kleinen Kupfervasen. An einer Wand hängt der
Druck eines kitschigen Gemäldes, Jesus inmitten einer Schafherde.
    So
ein ähnliches Bild hing auch im Schlafzimmer meiner Eltern, erinnert er sich.
Das muss in den Fünfzigern gewesen sein. Über wie viele Stationen landet so
etwas in einer Döner-Bude?
    Ein
zweites Bild ist auf eine Glasscheibe gemalt und zeigt einen Wasserfall. Ein
Lichteffekt täuscht beim herabstürzenden Wasser Bewegung vor. Hinter dem langen
Tresen bedient ein hübsches, junges Mädchen mit langen, pechschwarzen Haaren.
Höchstens sechzehn, denkt Swensen und wartet bis die beiden Kunden vor ihm mit
ihren Dönern den Laden verlassen haben.
    »Kennen
Sie diesen Mann?«, fragt er möglichst unaufdringlich und hält dazu das Foto des
Ermordeten hoch. Das Mädchen schüttelt ängstlich mit dem Kopf.
    »Haben
Sie schon mal den Namen Habib Hafside gehört?«
    Erneutes
Kopfschütteln.
    »Ich
lasse eine Fotokopie von dem Bild hier, da stehen der Name und die
Telefonnummer der Polizei drauf. Können sie die bitte i hren Eltern und Bekannten zeigen, vielleicht erkennt jemand
den Mann?!«
    Was
mach ich hier bloß, grübelt er, als er wieder vor der Ladentür steht.
Wahrscheinlich steckt der Schock über den 11. September den meisten Menschen
genauso in den Knochen wie mir. Dazu werden gerade Muslime im Moment mit
Sicherheit reichlich angefeindet. Und ich renne hier durch die Gegend und halte
unbescholtenen Türken das Foto eines Toten unter die Nase.
    Links
neben der Tür steht ein blau-weiß gestreifter Münzautomat, in dem bunte
Kaugummikugeln mit Plastikschnickschnack stecken. Der Kommissar wendet sich
nach rechts, geht an dem Geschäft vorbei, das Keramikfiguren zum selbst Bemalen
verkauft, und biegt links in die Schulstraße.
    Unbescholten?
Meinst du das wirklich so, Swensen, oder willst du nur unbewusst gegen eine von
dir angenommene Fremdenfeindlichkeit ansteuern, die du bei den Menschen
vermutest?
    Ihm
fällt diese leidige Diskussion um die deutsche Leitkultur wieder ein,
die der CDU-Politiker Friedrich Merz vor kurzem losgetreten hatte und dafür
einen Sturm der Entrüstung erntete. Deutschland wäre schon lange eine
multikulturelle Gesellschaft, wurde ihm von den Linken vorgeworfen.
    Doch
ist das wirklich so?
    Vor
Beginn der Ermittlungen waren Muslime in Husum für ihn wie selbstverständlich
da gewesen. Jetzt hatte er durch die Arbeit einen kleinen Einblick erhalten und
festgestellt, dass die Mehrzahl in einer anderen Welt lebt, die deutlich
getrennt von der seinen existiert. Selbst er, der als Buddhist zu einer zahlenmäßig
kleineren Minderheit in dieser Stadt gehört, ist integrierter als irgendeiner
dieser islamischen Migranten.
    Wahrscheinlich
wollen wir alle mit unserem Desinteresse das Unwissen über ihre Religion
kaschieren, denkt er.
    »Unwissenheit
ist jederzeit vorhanden«, werden seine Überlegungen von der Stimme seines
Meisters bestätigt. »Sie ist in jeder einzelnen Zelle und in allen unseren
Gedanken. Gäbe es keine Unwissenheit, hätten wir tiefstes Mitgefühl für das
Leiden aller Kreaturen.«
    Der
Mensch ist viel zu schnell überzeugt, dass er alles weiß, denkt Swensen,
während er am Ende der schmalen Kopfsteingasse nach links in die Asmussenstraße
biegt. Wie oft war er in seinem Beruf schon an Unwissenheit gescheitert.
    Er
muss unwillkürlich an seine Mutter denken. Ein Leben lang hatte er zu wissen
geglaubt, wer sie war. Dann erkrankte sie an Demenz. Kurz vor ihrem Tod hatte
sich die alte Frau so verändert, dass er sich wie ein Unwissender fühlte, wenn
er ohne ein Wort ihren stundenlangen monotonen Dialogen zuhörte.
    »Und
dann hab ich da gestanden und geguckt und geguckt und geguckt. Und da kam immer
noch kein Fußball. Und Fußball wollte ich nicht. Und dann bin ich
weitergegangen nach oben rauf. Und dann kriegte ich von oben was. Und dann sagt
der, ich hab das doch nicht gekriegt. Erdbeere und das zusammen. Dann geh ich
wieder her, sag ich, dann geh du man wieder her. Dann hab ich das genommen, was
da war. Das hab ich mitgenommen. Wo ist dann das jetzt, sagt der, wo die
Erdbeere

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