Feuermale
die Opferanalyse –«
»Danke für deine Hilfe mit Sabin«, sagte sie, als das Schloß kapitulierte und sie den Knopf drehte. »Ich muß zurück in mein Büro, bevor meine Zeugin all meine guten Stifte stiehlt.«
Angie bewegte sich durch Kates Büro, rastlos, neugierig, nervös. Kate war stocksauer wegen der Zeichnung. Sie hatte auf dem Weg zurück zum Polizeirevier kaum ein Wort gesagt.
Schuldgefühle plagten Angie wie winzige Nadeln. Kate versuchte, ihr zu helfen, aber sie mußte auf sich selbst aufpassen. Sie beide paßten nicht notwendigerweise zusammen. Woher sollte sie wissen, was sie tun sollte?
Woher sollte sie wissen, was richtig war?
Du bist eine totale Niete! Du machst nie irgendwas richtig!
»Ich versuch es«, flüsterte sie.
Dämliches kleines Luder. Du hörst nie zu.
»Ich versuch es.«
Angst hatte sie, aber sie würde das Wort nie aussprechen, nicht einmal in Gedanken. Die Stimme würde sich an ihrer Angst laben. Die Angst würde die Stimme laben.
Sie spürte, wie beide Mächte in ihr stärker wurden.
Ich werd dir was geben, wovor du Angst haben kannst.
Sie hielt sich die Ohren zu, als könnte sie die Stimme aussperren, die nur in ihrem Kopf hallte. Sie wiegte sich eine Minute lang, mit weit offenen Augen, denn wenn sie sie schloß, würde sie Dinge sehen, die sie nicht wieder sehen wollte. Ihre Vergangenheit war wie ein Film, der immer und immer wieder in ihrem Kopf abgespielt wurde, immer direkt da, immer bereit, Emotionen an die Oberfläche zu ziehen, die besser tief begraben blieben. Haß und Liebe, heftiger Zorn, heftige Bedürfnisse. Haß und Liebe, Haß und Liebe, Haßundliebe – alles ein Wort für sie.
Gefühle, so ineinander verstrickt, daß sie unzertrennlich waren, wie die verschlungenen Gliedmaßen zweier Tiere, die einander angriffen.
Die Angst schwoll ein bißchen an. Die Zone zoomte heran.
Du hast vor allem Angst, was, du irres kleines Luder?
Zitternd starrte sie auf die Flugblätter auf Kates Schwarzem Brett. Sie las die Überschriften, versuchte, sich auf etwas zu konzentrieren, bevor die Zone heranrauschen und sie ersticken konnte. Community Resources for Crime Victims, Rape Crisis Center, The Phoenix: Women Rising to a New Beginning. Dann verschwammen die Titel, und sie setzte sich, atmete ein bißchen zu heftig.
Wo zum Teufel blieb Kate so lange? Sie war ohne Erklärung gegangen, hatte nichts gesagt, außer, sie wäre in ein paar Minuten zurück, was – wie lange her war? Angie sah sich nach einer Uhr um, fand sie und konnte sich dann nicht erinnern, wann Kate sie verlassen hatte. Hatte sie da nicht auf die Uhr gesehen? Warum konnte sie sich nicht erinnern?
Weil du dämlich bist, deshalb. Dämlich und irre.
Sie begann zu zittern. Es fühlte sich an, als würde sich ihr Hals zuschnüren. Es war keine Luft in diesem dummen kleinen Zimmer. Die Wände rückten auf sie zu. Sie versuchte zu schlucken, als Tränen ihre Augen überschwemmten. Die Zone zoomte heran. Sie konnte spüren, wie sie näherkam, fühlte die Veränderung im Luftdruck, der sie umgab. Sie wollte fliehen, aber sie konnte weder der Zone noch der Stimme entrinnen.
Na, dann mach etwas. Mach, daß es aufhört, Angel. Du weißt, wie du das machen mußt.
In Panik, schob sie die Ärmel ihrer Jacke und ihres Pullovers hoch und kratzte mit einem stumpfen Daumennagel die dünnen weißen Linien der Narben entlang, färbte sie rosa. Sie wollte an den Schnitt heran, den sie gestern gemacht hatte, ihn wieder bluten lassen, aber sie konnte den Ärmel nicht weit genug hochschieben. Und sie wagte es nicht, ihre Jacke auszuziehen, aus Angst, jemand könnte hereinkommen und sie erwischen. Kate hatte ihr gesagt, sie sollte hier warten, daß sie in ein paar Minuten zurück wäre. Die Minuten vertickten.
Dann wird sie wissen, wie verrückt du bist, Angel.
Die Zone zoomte heran…
Du weißt, was du zu tun hast.
Aber Kate würde wiederkommen.
Tu es.
Das Zittern begann.
Tu es.
Die Zone zoomte heran…
Tu es!
Sie wagte nicht, das Teppichmesser aus ihrem Rucksack zu holen. Wie sollte sie es erklären? Sie könnte es in ihre Tasche stecken Die Panik setzte ein. Sie spürte, wie ihr Verstand zu zerspringen drohte, gerade als ihr verzweifelter Blick auf ein Tellerchen mit Büroklammern auf Kates Schreibtisch fiel.
Ohne zu zögern packte sie eine und bog sie gerade, prüfte das Ende mit einer Fingerspitze. Sie war nicht so scharf wie die Rasierklinge. Es würde schlimmer wehtun.
Feigling. Tu es!
»Ich hasse
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