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Feuermale

Feuermale

Titel: Feuermale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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dich«, murmelte sie, kämpfte gegen die Tränen. »Ich hasse dich. Ich hasse dich.«
    Tu es! Tu es!
    »Sei still! Sei still! Sei still!« flüsterte sie, der Druck steigerte sich in ihrem Kopf, bis sie dachte, er würde platzen.
    Sie zog das Stück Draht über eine alte Narbe auf ihrem Handgelenk, wo die Haut so dünn und weiß wie Papier war. Sie schnitt parallel zu einer dünnen blauen Ader und wartete darauf, daß ihr tränengetrübter Blick sich mit Blut füllte. Üppig und rot, eine dünne, flüssige Linie.
    Der Schmerz war stark und süß. Die Erleichterung kam sofort. Der Druck verminderte sich. Sie konnte wieder atmen. Sie konnte denken.
    Sie starrte einen Moment lang das scharlachrote Band an, irgendein verlorener Teil von ihr tief, tief in ihrem Inneren wollte weinen. Aber das überwältigende Gefühl war Erleichterung. Sie legte die Büroklammer beiseite und wischte das Blut mit dem Saum ihres Pullovers ab. Die Linie blühte erneut auf, brachte eine neue Woge von Ruhe.
    Sie strich mit dem Daumen den Schnitt entlang, dann sah sie, wie das Blut sich in den Rillen und Wirbeln der Daumenspitze verteilte. Ihr Fingerabdruck, ihr Blut, ihr Verbrechen. Sie starrte ihn lange an, dann hob sie den Daumen zum Mund und leckte es langsam ab. Sie verspürte eine Art von Erleichterung, die fast sexuell war. Sie hatte den Dämon besiegt und es verzehrt. Sie strich mit ihrer Zunge den Schnitt entlang, nahm die letzten paar Tropfen Rot auf.
    Mit immer noch wackeligen Knien und leichtem Schwindelgefühl zog sie ihren Ärmel zurecht und erhob sich aus dem Stuhl, um sich durch das Büro zu bewegen.
    Sie registrierte jedes Detail und merkte es sich.
    Kates dicker Wollmantel hing an einer Wandgarderobe, zusammen mit einem witzigen Hut aus Pannesamt. Kate hatte coolen Geschmack in Klamotten für eine Frau ihres Alters. Angie wollte den Hut gern probieren, aber es gab keinen Spiegel, um sich damit anzuschauen.
    Ein kleiner Cartoon zeigte einen Anwalt, der einen Zeugen in die Mangel nahm – ein Murmeltier. »Also, Mr.
    Murmeltier, Sie behaupten, Sie hätten an diesem Tag ihren Schatten gesehen. Aber entspricht es nicht der Wahrheit, daß Sie ein Alkoholproblem haben?«
    Die Schreibtischschubladen waren abgesperrt. Keine Handtasche in Sicht. Sie probierte den Aktenschrank, hoffte, ihre Akte zu finden, aber der war auch abgesperrt.
    Als sie die Papiere auf dem Schreibtisch durchging, fiel ihr plötzlich auf, daß sie noch vor ein paar Minuten in absoluter Panik gewesen war und sich jetzt stark und als Herrin der Lage fühlte, genauso wie im Phoenix House, als sie unbeobachtet ein-und ausgegangen war. Sie haßte den Teil von sich, der es zuließ, daß die Zone überhandnahm. Sie haßte die Schwäche dieses Teils von ihr. Sie wußte, daß sie stark sein konnte.
    Ich mache dich stark, Angel. Du brauchst mich. Du liebst mich. Du haßt mich.
    Die frische Kraft ließ sie die Stimme ignorieren.
    Sie blätterte das Rolodex durch und hielt bei dem Namen Conlan inne. Frank und Ingrid in Las Vegas. Kates Eltern nahm sie an. Kate hatte sicher normale Eltern. Einen Vater, der im Anzug zur Arbeit ging. Eine Mutter, die Braten machte und Plätzchen backte. Nicht die Art Mutter, die Drogen nahm und rumbumste. Nicht die Art Vater, dem seine Kinder scheißegal waren, der sie verließ und sie der Gnade der Wichser überließ, die ihre Mutter nach Hause brachte. Kate Conlans Eltern liebten Kate, wie normale Menschen ihre Kinder liebten. Kate Conlan war nie in einen Schrank gesperrt oder mit einem Drahtbügel geschlagen oder gezwungen worden, ihrem Stiefvater einen zu blasen.
    Angie zog die Karte aus dem Rolodex, riß sie in winzige Stücke und stopfte sie in ihre Jackettasche.
    Ein Stapel Post lag ungeöffnet im Eingangskorb. Ein weiterer Stapel im Ausgangskorb. Angie hob die Umschläge auf und sah sie durch. Drei amtliche Briefe in Hennepin County Government Center-Umschlägen. Ein knallgelber Umschlag handschriftlich adressiert an jemandem mit Namen Maggie Hartman, die Absenderadresse war ein goldener Aufkleber in der oberen linken Ecke: Kate Conlan.
    Sie lernte die Adresse auswendig und stellte die Umschläge zurück. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zu der Sammlung winziger Engel, die sie schon das erste Mal im Büro entdeckt hatte. Sie saßen auf dem Regalteil des Schreibtisches verteilt. Jeder war anders: Glas, Messing, Silber, Zinn, bemalt. Keiner war größer als drei Zentimeter. Angie suchte sich den aus bemaltem Ton aus. Er hatte schwarzes Haar

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