Feuermohn
fühlte sich überrumpelt und unwohl, traute dem Frieden nicht. Noch zu gut hatte sie Kassandras kalte Blicke in Erinnerung. Und war da nicht etwas Verschlagenes in ihrem Blick? In diesen blauen Augen, die wie ein abgrundtiefer See anmuteten, in denen flirrendes Eis schwamm?
Der Duft, der Kassandra umgab, war betörend. Ihre Stimme ebenso, als sie „bitte, ich würde mich sehr freuen“, hauchte. Diese Worte mit einer Intensität, die Anna wider Erwarten berührte. Mit einem Lächeln, das die Augen diesmal erreichte.
Annas Gedanken-Karussell begann zu rattern. Vielleicht war Kassandra gar nicht so übel? Vielleicht sogar ganz nett? Ihre offensichtlich zur Schau gestellte Eifersucht auf dem Mohnball konnte Anna nur zu gut nachvollziehen. Klar, dass ihre Blicke unter den gegebenen Umständen alles andere als freundlich gewesen waren.
„Okay“, hörte Anna sich sagen. Laut und deutlich, während ihre Gedanken weiter rotierten.
„Gut. Heute bei dir, und ein anderes Mal bei mir?“
„Einverstanden.“
„Dann bis gleich. Ich werde in der Küche Bescheid geben.“
Anna sprang unter die Dusche. Ganz wohl war ihr immer noch nicht, jedoch überwog die ihr innewohnende Neugier. Würde ihr ein Blick hinter diese perfekte Fassade gelingen? Wer war Kassandra? Was machte sie, wenn sie ihre Zeit nicht auf dem Anwesen von Aaron Vanderberg verbrachte? Annas journalistischer Spürsinn war geweckt. Diese Person hob sich deutlich von der Masse ab, regte zu Spekulationen an.
Was genau verband sie mit Aaron Vanderberg? Wie hatte sie ihn kennengelernt?
Fragen, auf die Anna allzu gern eine Antwort gehabt hätte.
Kurze Zeit später stand sie unschlüssig vor dem riesigen Berg Kleider, die Aaron ihr hatte zukommen lassen. Sie entschied sich für ein schokoladenfarbenes Kleid mit Spaghettiträgern. Um ihre Schultern legte sie eine transparente Stola im gleichen Farbton.
Fast zeitgleich mit dem Küchenservice betrat Kassandra das Zimmer wie eine Gebieterin, eine Göttin, eine Königin.
Sie erschien Anna noch schöner.
Kassandra blieb auf halbem Weg stehen. In dem honigfarbenen Licht, das den Raum durchflutete, hob sie sich deutlich gegen die helle Wand ab. Schwarzes Haar, sorglos aufgetürmt, blasser Teint, steil gewölbte Augenbrauen, ein maliziöses Lächeln, zwei Grübchen unter ihrem linken Mundwinkel. Sündig, begehrenswert, elegant und gleichzeitig verrucht. Sie wusste um ihre Wirkung, warf dem jungen Mann, der das Essen gebracht hatte, einen einladenden Blick zu und trat erst dann aus dem schmeichelnden Licht heraus, als er verschwunden war.
Die goldenen Reifen, die ihren Arm zierten, klimperten leise, als sie kurz die silbernen Servierhauben anhob, um nachzusehen, welche Köstlichkeiten sich darunter verbargen. In ihrer linken Hand trug sie eine bauchige, rauchblau irisierende Flasche.
„Ein kleines Geschenk. Mandellikör.“ Stimme und Gestik hatte Kassandra perfekt in Szene gesetzt, als sie Anna die Flasche übergab. Süß lächelnd reichte sie ihr mit einer nicht zu übertreffenden Eleganz die Hand. „Wie nett, dass wir endlich die Gelegenheit zum Plaudern haben!“
Anna erwiderte ihr Lächeln, nickte.
Anmutig wie eine Tänzerin stöckelte Kassandra zu einem der goldgerahmten Spiegel, zupfte an ihrer perfekt sitzenden Frisur und begab sich zu der einladenden Sitzgruppe, auf der sie sich elegant und stilvoll niederließ. Anna nahm ihr gegenüber Platz.
„Möchtest du auch ein Glas Rotwein? Wie gefällt es dir hier?“ Kassandra übernahm das Ruder.
„Es ist wirklich nett hier.“ Anna wollte nicht zu viel preisgeben, nahm das Glas Rotwein dankend entgegen.
„Ja, nicht wahr? Mich verzaubern meine Aufenthalte hier immer wieder aufs Neue. Ich freue mich über jede freie Minute, die ich hier in Aarons Nähe verbringen kann.“ Die letzten Worte wurden mit einer ganz besonderen Betonung gesprochen.
„Was machst du in deiner übrigen Zeit?“ Anna versuchte der Unterhaltung die Wende zu geben, die sie wünschte und hatte Erfolg. Während sie ihr Dinner einnahmen, erfuhr sie, dass Kassandra in Paris Modedesign studiert und später dort ihre erste Boutique eröffnet hatte. Sie verkaufte eigene Kreationen ebenso wie Stücke namhafter Designer.
„Ich hatte Glück, das Konzept ging auf. Immer mehr konzentrierte ich mich auf den Entwurf meiner eigenen Mode, bis der Laden sich allein damit tragen konnte. Aufgrund der Nachfrage eröffnete ich weitere Boutiquen in europäischen Großstädten mit zahlreichen
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