Feuernacht
Und dann hat sie mich nach Friðleifur gefragt, sie hat von dem angeblichen Regelverstoß im Heim gehört und wollte eine Erklärung dafür. Ich habe ihr gesagt, wie es war, dass sich das Gerücht als Unfug herausgestellt hat.« Glódís traute sich nicht, ihm zu erzählen, was sie über seinen Sohn besprochen hatten. Sie fürchtete, er würde eine genaue Zusammenfassung des Gesprächs hören wollen und dann alles kritisieren, was sie der Anwältin erzählt hatte.
Einvarður schwieg. »Hatte Tryggvi irgendwas mit dieser Ragna zu tun? Ich kann mich kaum an sie erinnern.«
»Nein, ich glaube, er wusste noch nicht mal, dass sie im Heim gewohnt hat.«
»Und mit dem Nachtwächter?«
»Sehr wenig. Die Nachtwachen sind nachts ein paarmal durch die Zimmer gegangen, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist, aber nur bei den Bewohnern, die an Geräte angeschlossen waren. Denkbar, dass sie auch mal bei Tryggvi im Zimmer waren, wenn sie irgendwas gehört haben, aber das war dann reiner Zufall. Morgens gab es etwas mehr Kontakt, die Nachtwachen haben beim Aufstehen und Frühstücken geholfen.«
»Verstehe.« Wieder schwieg Einvarður.
Glódís gefiel der Ton in seiner Stimme nicht, und sie hatte Angst vor weiteren Fragen. Am besten, sie sprachen so wenig wie möglich über ihr Treffen mit Dóra. »Du hast eben was über Beweismittel gesagt, was meintest du damit?«
»Ja.« Einvarður war anzuhören, dass er nicht gerne das Thema wechselte. »Äh, es ist doch sicher, dass das Beweismaterial nicht die Runde macht, oder?«
»Was?« Glódís wusste nicht, worauf er hinauswollte. Die Unterlagen waren weitläufig verteilt: im Regionalbüro, im Sozialministerium, verschiedene Kopien bei der Polizei, beim Gericht und natürlich bei den Anwälten. Vermutlich befand sich ein Teil davon in seinem eigenen Ministerium.
»Sind die Beweismittel, die meinen Sohn betreffen, noch im Umlauf? Ich möchte, dass du mir die Wahrheit sagst, du stehst immer noch in meiner Schuld.«
»Ja … ich … es …«, stotterte Glódís. Es war ungewöhnlich, dass er den Gefallen, den er ihr getan hatte, so direkt erwähnte. Es ließ sich nicht widerlegen, dass sie auf der Straße stünde, wenn er sich nach dem Brand nicht für sie eingesetzt hätte. Natürlich war sie ihm dafür dankbar. Aber er durfte nicht vergessen, dass sie bei ihm auch etwas guthatte und es keinen Grund gab, so mit ihr zu reden. Anstatt ihn daran zu erinnern, schluckte sie ihren Stolz hinunter und beantwortete seine Frage: »Ja, es gibt jede Menge Unterlagen über sämtliche Bewohner und die Einrichtung, bei uns und anderswo.«
»Ich rede nicht von Berichten oder so was. Ich meine die Sachen meines Sohnes. Ist das alles verbrannt oder wird davon noch was aufbewahrt?«
»Es ist alles verbrannt.« Glódís hatte keine Ahnung, was er eigentlich meinte. »Die Sachen der Bewohner wurden nie aus dem Gebäude entfernt, außer vielleicht von den Angehörigen.«
»Es geht nicht um Klamotten oder Möbel. Ich will mich nur vergewissern, dass wir als Tryggvis Familie alles bekommen haben, was ihm gehörte. Das sind Dinge, die für uns wichtig sind. Seine Zeichnungen zum Beispiel.«
Glódís fiel ein Stein vom Herzen. Er verlangte also nicht, dass sie irgendwelche Dateien löschte. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, er verdächtige seinen Sohn, an der Brandstiftung beteiligt gewesen zu sein, und wolle Beweismittel unterschlagen. »Nein, so was haben wir nicht. Ganz sicher nicht. Das ist alles im Heim verbrannt. Hundertprozentig.«
Einvarður wirkte erleichtert, und seine Stimme klang wieder normal, sogar freundlich, so wie sonst. Er bedankte sich herzlich bei ihr und verabschiedete sich, so, als sei überhaupt nichts geschehen. Als Glódís aufgelegt hatte, starrte sie verwundert auf das Telefon, während ihr alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen. Hatte er etwas entdeckt, das seinen Sohn mit dem Fall in Verbindung brachte, oder war es wieder so wie damals, als die Eltern plötzlich Tryggvis Therapie abgebrochen hatten? Da wollte er unbedingt alle Bilder haben, die sein Sohn gezeichnet hatte. Als er zum zweiten Mal wutentbrannt anrief, nachdem seine Frau ihm erzählt hatte, im Zimmer seines Sohnes würden schon wieder Bilder an der Wand hängen, war Glódís darauf eingegangen. Und was hatte sie von dem ganzen Theater, außer furchtbare Rückenschmerzen nach Jakobs Angriff, weil sie ihm eine Zeichnung abgenommen hatte? Vielleicht schnüffelte diese Dóra in Dingen herum, die
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