Feuernacht
nicht darauf vorbereitet zu übernehmen, fasste sich aber schnell wieder. »Ich weiß nicht, wie gut du Jakob kennst, der auch im Heim gewohnt hat und für den ich arbeite. Ich glaube nämlich, und da bin ich nicht die Einzige, dass er den Brand nicht gelegt hat.« Das Mädchen starrte sie einfach nur an. »Es würde mir sehr helfen, wenn ich dir ein paar Fragen über deinen Aufenthalt im Heim stellen darf. Du bist ja, neben Jakob, der nur begrenzt in der Lage ist, die wirklich wichtigen Dinge herauszufiltern, die einzige Überlebende.« Dóra holte bewusst etwas weiter aus, da sie Ragna genauso behandeln wollte wie einen vollkommen gesunden Menschen. »Manches davon ist unangenehm und persönlich, und ich kann gut verstehen, wenn du einige Fragen nicht beantworten willst. Das ist allein deine Entscheidung.« Ragna zeigte immer noch keine Reaktion, obwohl sie natürlich manchmal mit den Augen blinzeln musste. Sie achtete darauf, mitten im Satz zu blinzeln, damit Dóra es nicht versehentlich als Antwort auffasste. Dóra atmete tief ein und überflog ihr Gekritzel, das sie in der Viertelstunde Vorbereitungszeit notiert hatte. »Bevor wir anfangen, muss ich eine Sache wissen, und zwar, ob du alle Bewohner mit Namen gekannt hast.«
Ein Blinzeln.
Ja.
Dem Mädchen lief Spucke aus dem Mundwinkel, und auf dem Kissen glänzte ein kleiner, feuchter Fleck.
»Das ist gut zu hören.« Dóra lächelte, schaute auf ihr Blatt und dann wieder zu Ragna. »Glaubst du, dass Jakob einen Grund hatte oder überhaupt in der Lage war, den Brand zu legen?«
Ragnas Augen wanderten hilfesuchend zu der Logopädin, die Dóra auf die Schulter tippte. »Achte darauf, immer nur eine Frage zu stellen. Das waren zwei, ob er wollte und ob er konnte. Es ist besser, wenn du leichte Fragen stellst.«
Dóra nickte beschämt. »Entschuldige bitte«, sagte sie zu Ragna, »ich bemühe mich. Ich möchte wissen, ob du es für möglich hältst, dass Jakob den Brand gelegt hat.«
Ragna schaute wieder zu der Logopädin, die eine Karte hochhob und auf die Symbole darauf zeigte. Schließlich wandte sie sich an Dóra. »Sie weiß es nicht oder hat keine Meinung dazu.« Während die Logopädin redete, sah sie Ragna an, die zur Bestätigung einmal blinzelte.
»Gut.« Dóra sah keinen Grund, den zweiten Teil ihrer ursprünglichen Frage noch zu stellen, da Ragna bestimmt nicht beurteilen konnte, ob Jakob zu so etwas in der Lage war. »Wahrscheinlich bist du nie in Natans Zimmer gewesen, aber weißt du, ob es dort einen kurzen Schlauch gegeben hat?«
Ragnas Augen irrten hin und her. Die Frage schien sie aufzuwühlen, obwohl Dóra das natürlich nicht richtig beurteilen konnte. Die Logopädin griff ein und bat Dóra am Ende, eine andere Frage zu stellen, da Ragnas Antworten nicht deutlich genug waren. Sie buchstabierte
schlauch kurz bei mir
. Um keine Zeit zu verschwenden, stellte Dóra eine neue Frage, mit der Ragna hoffentlich mehr anfangen konnte. Die Logopädin hatte sie eingangs gemahnt, sie könnten nicht lange bei Ragna bleiben, da diese Art der Kommunikation für die Patienten sehr anstrengend sei.
»Gab es viel Kontakt zwischen den Bewohnern?«
Wieder begann die Zeichensprache zwischen den beiden Frauen. »Sie antwortet mit ja und nein, ich würde sagen, das war unterschiedlich, wahrscheinlich je nach Person.« Ragna blinzelte einmal.
»Haben dich die anderen manchmal in deinem Zimmer besucht?« Ein Blinzeln veranlasste Dóra, in diese Richtung weiterzufragen. Sie las die Namen der Bewohner vor und wurde jeweils mit einmal oder zweimal Blinzeln belohnt. Es stellte sich heraus, dass die blinde und gehörlose Sigríður Herdís und der Epileptiker Natan manchmal zu Ragna ins Zimmer gekommen waren. Ragnas Antwort zu Tryggvi war schwer verständlich, und die Logopädin wies Dóra darauf hin, dass Ragna diese Frage anscheinend nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten konnte. Daraufhin unterhielten sich die beiden kurz mit Hilfe der Karten, bis die Logopädin sie ruhig in ihren Schoß legte und Dóra mitteilte, Tryggvi sei einmal bei Ragna im Zimmer gewesen. Nur einmal. Jakob hatte nur zweimal hereingeschaut, was zu seiner Aussage passte, dass er sich in Ragnas Nähe nicht wohl fühlte. Dóra interessierte sich vor allem für Tryggvis Besuch, da sie jetzt eine Zeugin hatte, die bestätigen konnte, dass er selbständig durchs Haus gelaufen war, wenn auch nur selten. Tryggvis Beteiligung an dem Verbrechen wurde wahrscheinlicher, als sie zunächst
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