Feuernacht
höre ich heute früher auf. Ich gehe demonstrieren und verspreche dir, dass es diesem Dreckspolitikerpack noch leidtun wird, mich auf die Palme gebracht zu haben.«
Soweit Dóra wusste, war keine Demonstration angekündigt, aber Bella alleine würde schon reichen, vor allem, seit es in der Kanzlei nur noch Instantkaffee gab. »Du ziehst aber nicht den Pulli mit unserem Logo an.« Das wäre noch was gewesen, ein Foto von Bella mit dem Kanzleilogo auf der Brust auf der Aufmacherseite des
Morgunblaðið
.
»Wenn ich keine Gehaltserhöhung bekomme, schon.«
Dóra ärgerte sich zu Tode, den Pulli überhaupt erwähnt zu haben. »Wir reden nach dem Wochenende mit Bragi darüber. Diese Woche ist es bei uns beiden ganz schlecht. Ich kann dir nichts versprechen, aber vielleicht können wir das auf andere Weise ausgleichen, zum Beispiel mit einem kostenlosen Raucherentwöhnungsseminar.« Dóra eilte nach draußen und zog schnell die Tür hinter sich zu, falls irgendein Gegenstand geflogen kam.
Das Wetter war immer noch schön, sah aber nicht so aus, als würde es für den Rest des Tages so bleiben. Es war ein bisschen kühler als am Morgen, und über der Faxaflói-Bucht trieben dunkle Wolken auf das Land zu. Der Skólavörðustígur lag immer noch halb im Schlaf, obwohl die Geschäfte schon geöffnet hatten. Überraschenderweise gab es sogar freie Parkplätze. Am Ende der Straße wachte Leifur Eiríksson auf seinem Sockel über das friedliche Treiben, während hinter ihm der Turm der Hallgrímskirkja aufragte. Dóra hatte den Wagen am Morgen etwas weiter entfernt abgestellt. Wenn sie gewusst hätte, dass sie so bald wieder rausgehen würde, hätte sie direkt vor dem Haus geparkt. Es war erfrischend, das kurze Stück zu laufen, und in Gedanken ging Dóra das Gespräch mit Glódís schon einmal durch. Im Grunde hätte es gereicht, mit ihr zu telefonieren, aber das hatte Glódís abgelehnt und vorgeschlagen, sich zu treffen. Da Dóra nicht damit rechnete, die Frau noch mal ans Telefon zu kriegen, hatte sie zugestimmt. Glódís hatte die unbeantworteten Mails mit keinem Wort erwähnt, und Dóra vermutete, dass sie nur aus Versehen ans Telefon gegangen war, weil sie nicht gewusst hatte, wer in der Leitung war. Allerdings hatte die Entwicklungstherapeutin Linda zwei von Dóras Fragen bereits beantwortet und ihr die Namen von Tryggvis Therapeuten und der überlebenden Bewohnerin genannt, Ragna Sölvadóttir. Linda wusste jedoch nicht, wo Ragna inzwischen lebte, und das musste Dóra unbedingt aus Glódís herausquetschen.
Am Morgen hatte Dóra im Sogn angerufen und mit dem Leiter über Jósteinns Angriff auf Jakob gesprochen. Demnach wurde der Vorfall intern untersucht, und eine endgültige Entscheidung, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, war noch nicht gefallen. Der Leiter betonte, Jósteinn sei krank und nicht ohne Grund im Sogn. Da er als strafunfähig galt, gebe es nicht viele Sanktionsmöglichkeiten, wahrscheinlich würde man auf stärkere Medikamente und strengere Überwachung zurückgreifen und Jósteinns Privilegien vorübergehend kürzen. Die bestünden jedoch in erster Linie daraus, dass er ein Radio haben dürfe. Jósteinn hatte also keine harte Strafe zu erwarten, und aufgrund seines gestörten Moralempfindens war auch nicht damit zu rechnen, dass er etwas bereute oder dass ihm die Folgen seiner Taten bewusst waren.
Als Dóra ihre Vermutung über Jósteinns Motiv äußerte, war der Mann nicht besonders überrascht und hielt ihre Theorie für durchaus gerechtfertigt. Keiner der Mitarbeiter hatte bemerkt, dass sich das freundschaftliche Verhältnis zwischen Jósteinn und Jakob verschlechtert hatte, und niemand verstand den Grund für Jósteinns Angriff. Jósteinn gab vor, sich an nichts erinnern zu können. Daraufhin fragte der Leiter Dóra, ob das bedeute, dass Jakobs Fall jetzt abgeschlossen sei, aber sie erklärte ihm, sie müsse erst noch herausfinden, ob Jósteinn sie weiterhin mit dem Fall beauftragen wolle. Jakobs Mutter müsse noch eine endgültige Entscheidung treffen, ob sie Jósteinns Hilfe im Namen ihres Sohnes weiterhin annehmen wolle. Der Leiter bot an, Jósteinn zu fragen, denn Dóra dürfe nicht mit ihm telefonieren. Er sei noch in Isolation, was jedoch anders gehandhabt würde als im Gefängnis, Jósteinns Tagesablauf hätte sich nicht geändert, er dürfe nur keinen Kontakt zu seinen Mitbewohnern und Außenstehenden haben. Dóra nahm das Angebot dankend an, und eine halbe Stunde später rief
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